Vortrag mit Diskussion
„Viele Köche, kein Rezept? Wirksame Integrationspolitik als Koproduktion von Land und Kommune“
Prof. Dr. Hannes Schammann vom Institut für Sozialwissenschaften - Politikwissenschaften der Universität Hildesheim
Das Dilemma der Integrationsbeauftragten ist, dass sie nur eine Stabstellenfunktion haben. Dadurch können sie nicht genug Einfluss nehmen. Die Arbeitsmarktintegration von Migrant*innen muss deshalb als Aufgabe in die Landesstruktur aufgenommen werden.
Diskussion
Frage Dr. Maher Fakhouri: Warum wird die Integration nicht zur Pflichtaufgabe? Man muss wegkommen von der Projektarbeit.
Antwort Prof. Hannes Schammann: Das scheitert zuerst am Geld, denn Haushaltsmittel sind rar. Außerdem stellt sich die Frage der Definition von Integration: sie ist ein großer bunter Strauß von Aufgaben. Sicher wäre es besser, nicht pauschal Unterstützung zu fordern, sondern konkrete Ideen für einzelne Aufgaben zu entwickeln, wie z.B. Arbeit und Sprache.
Frage Dr. Gudrun Heinrich: Gibt es Unterschiede zwischen ländlichen Räumen und urbanen Kommunen?
Antwort Prof. Hannes Schammann: Das ist pauschal nicht zu beantworten, denn ländliche Räume können sehr heterogen sein. Es gibt Regionen, in denen es boomt, in anderen dagegen nicht. Es wurden Befragung von Mitarbeiter*innen in den Kommunen und von Geflüchteten zur Aufnahmebereitschaft von Geflüchteten in den Landkreisen durchgeführt. Dabei kam heraus, dass es in ländlichen Kommunen häufig Personen gibt, die mehrere Rollen und Ämter bekleiden. Dadurch entstehen mehr informelle Kontakte und Entscheidungen sind leichter möglich. Die EU hat Fördertöpfe für ländliche Räume und Fördertöpfe für die Integration, diese müssten zusammengeführt werden, da gibt es viel ungenutztes Potenzial.
Die Website von Prof. Schammann enthält u.a. Links zu seinen Publiktionen, z.B. "Kommunale Flüchtlingspolitik in Deutschland", erschienen 2016 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Kaffeepause
Impulse und Diskussion
“Handlungsmöglichkeiten und Erfahrungen aus unterschiedlichen Perspektiven“
Eine dauerhafte Verstetigung der Bundesintegrationsmittel wäre eine große Chance, denn sie würde Planungssicherheit bieten.
Es wird weiterhin nicht mit den Migrant*innen geredet, sondern über sie.
Statement von Jana Michael:
Das Image von Migrant*innen ist weiterhin eher negativ, unabhängig von ihrer wirklichen Leistung. Wir brauchen eine sichtbare Darstellung der migrantischen Perspektive.
Frage Dr. Gudrun Heinrich: Gibt es auf Landes- oder kommunaler Ebene eine sinnvolle Integrationsstrategie?
Antwort Dr. Elias Bender: Auf Landes- und kommunaler Ebene ist bereits im Vorfeld eine gute Abstimmung aller Beteiligten notwendig. Gute Ideen und Ansätze sollten in den Schubladen liegen und bei Bedarf aktiviert werden können. Die Akteur*innen sollten laufend die Entwicklungen auf der Bundesebene beobachten, denn das Fördergeld kommt oft ungeplant und spontan.
Frage Dr. Gudrun Heinrich: Warum gibt es einen Verbund der Migrant*innen-Organisation in Ostdeutschland? Ist in Bezug auf langfristige Strategien zur Einbeziehung von Migrant*innen der Fokus auf Ostdeutschland überhaupt nützlich?
Antwort Ayman Qasarwa: Bis zum Jahr 2014 gab es in Ostdeutschland nur eine geringe Anzahl von Migrant*innenselbstorganisationen, die bundesweit so gut wie nicht wahrgenommen wurden. Die Bundesverbände, die es früher gab, haben die "Westperspektive" eingebracht; es gilt aber auch, die "Ostperspektive" einzubringen, denn im Osten herrschen andere Lebensverhältnisse.
Antwort Jana Michael: Ein großes Thema ist weiterhin die Akzeptanz von Migrant*innen in Ostdeutschland. Der Stellenwert von Migration und Integration muss gestärkt werden. In MV gibt es z. B. keine Vertretung von Migrant*innen in den Verwaltungen und im Landtag. Es wird noch immer in "wir" und "ihr" unterschieden. Wir brauchen mehr Lobbyarbeit.
Statement aus dem Publikum von Stefan Semjank vom Diakonischen Werk MV:
Die Mittel für die Migrationsberatungsstellen für Erwachsene wurden gerade um 25 % gekürzt, das ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die auf diese Beratung angewiesen sind und ebenso für alle, die in diesem Bereich arbeiten. Es sind auch nicht nur die Migrationsberatungsstellen für Erwachsene betroffen, sondern z. B. auch das IQ Netzwerk MV. Zwischen dem, was im Koalitionsvertrag steht und dem, was getan wird, besteht ein großer Unterschied. Es muss nicht nur dafür gesorgt werden, dass die Migrant*innen hier ankommen, sondern auch dafür, dass der Zusammenhalt gestärkt wird. Außerdem sollte eine angemessene Entlohnung aller, die in der Migrations- und Integrationsarbeit tätig sind, möglich sein. Ich fordere alle, die Einfluss nehmen können, zur Lobbyarbeit auf.
Frage Dr. Gudrun Heinrich: Wie kann man die Gesellschaft mitnehmen? Welches könnten Anknüpfungspunkte sein, Integrationspolitik in die Gesellschaft zu tragen?
Antwort Jana Michael: Wir sollten Migration als Normalität betrachten.
Antwort Ayman Qasarwa: Wir sollten Migration nicht als Belastung, sondern als Bereicherung sehen und einen Dialog auf Augenhöhe führen.
Antwort Dr. Elias Bender: Der Staat muss auf allen Ebenen für gute Rahmenbedingungen sorgen, u. a. für die, die sich bereits engagieren. Modelle, die gut sind sollten Unterstützung erhalten. Außerdem kündigt sich ein Generationswechsel an, der Hoffnung gibt, denn die Jugend steht dem Thema Migration offener gegenüber.
Impressionen der Diskussion mit dem Publikum
Mittagspause
Arbeitsgruppe 1
„Diversität in regionalen Medien – Fehlanzeige?“
Farangies Ghafoor, Neue Deutsche Medienmacher & Volontärin beim Tagesspiegel, Berlin
René Schaar, stellv. Gleichstellungsbeauftragte des Norddeutschen Rundfunks, Hamburg
Stefan Menzel, Leiter Content Unit bei den Norddeutschen Neuesten Nachrichten, Rostock
Moderation: Jochen Schmidt, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin
Wer nicht gezählt wird, zählt nicht.
Diskussion
Frage Jochen Schmidt: Gibt es überhaupt ein Problembewusstsein in Bezug auf Vielfalt bei den Medien?
Antwort René Schaar: Beim NDR ist die Thematik auf allen Ebenen angekommen. Zum einen geht es darum, dass man das moralisch Richtige tun will und alle gesellschaftlichen Gruppierungen zu Wort kommen lassen möchte. Zum anderen geht es auch darum als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben und für mehr Leute interessant zu werden.
Antwort Stefan Menzel: Wir haben ganz andere Probleme als Vielfalt, z. B. die digitale Transformation und ein stets größerer ökonomischer Druck. Die Norddeutschen Neuesten Nachrichten sind weder in Bezug auf Frauen noch sonst irgendwie divers. Dafür ist auch der Anteil an Migrant*innen in MV einfach zu gering.
Frage Jochen Schmidt: Ist es bei so hohem Verkaufsdruck nicht wichtig, andere Abonnent*innen- und Leser*innenkreise zu erschließen?
Antwort Stefan Menzel: Es ist schwierig, neue Gruppen (z.B. ukrainische, russische Communities) zu erschließen, auch weil regionale Tageszeitungen keine Leute ohne ausreichende Deutschkenntnisse einstellen können.
Antwort René Schaar: Der NDR spricht aktiv Menschen mit Migrationshintergrund an. In Bezug auf Dialekte und Akzente hat sich einiges verändert: Jounalist*innen mit Akzent durften bisher ihre eigenen Beiträge nicht sprechen. Beim Format „Steuerung F“ aber sprechen Reporter*innen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, ihre Beiträge selbst ein. Für die Begleitung von Migrant*innen werden allerdings mehr Kapazitäten aufgewendet, da sie durch erfahrene Akteur*innen begleitet werden.
Antwort Farangies Ghafoor: Zugewanderte sollten in Medien auch zu Wort kommen können, wenn es nicht um spezifische migrantische Themen geht. Sie sollten, z. B. in Umfragen, zu allen möglichen Themen gefragt werden. Über 60 % der Migrant*innen hat übrigens mehr Vertrauen in deutsche als in Herkunftsmedien.
Anmerkung aus dem Publikum: Die Ostsee-Zeitung hat ukrainische Redakteur*innen eingestellt, die muttersprachliche Texte schreiben. Auch beim lokalen Mitmachsender Radio LOHRO gibt es arabisch- und russischsprachige Sendungen. Neue Themenschwerpunkte entstehen nur durch Diversität, da muss man die Personalstruktur entsprechend ausrichten.
Dazu Stefan Menzel: Medien richten sich nach der Nachfrage der Leser*innen, die durchaus unterschiedlich sein kann. Leser*innen der Bildzeitung fragen eben andere Inhalte nach als z. B. die der Zeit. Eine regionale Tageszeitung muss beide Nachfragen befriedigen. „Revolverartikel“ halten den Journalist*innen den Rücken frei für anspruchsvolle Berichterstattung.
Dazu René Schaar: Wir können es uns nicht mehr leisten, in den nächsten fünf Jahren die unterschiedlichen migrantischen Leser*innen und Communities nicht zu erreichen. Bei Abbildung von Alltäglichkeit muss es selbstverständlich sein, dass alle Menschen zu unterschiedlichen Themen befragt werden.
Arbeitsgruppe 2
„Arbeitsmarktteilhabe geflüchteter Frauen aus intersektionaler Perspektive“
Dr. Katrin Menke, Institut Arbeit und Qualifikation an der Universität Duisburg-Essen
Gespräche mit migrantischen Arbeitnehmerinnen:
Dr. Hend Aldamen, berufl . Beraterin
Olha Hrechanova, Kosmetikerin
Forat Albatman, Pflegeassistentin
Feven Weldu Semerab, psych. Beraterin
Moderation: Julia Sander, IntegrationsFachDienst Migration in der Region Mittleres Mecklenburg und Vorpommern-Rügen, migra e.V., Rostock
Frauen haben eine hohe Erwerbsneigung und ebenso gute Qualifizierungen wie Männer werden aber dennoch oft als „Problemgruppe“ adressiert.
Diskussion und Gespräche
Bemerkung aus dem Publikum: Das Thema Kopftuch und die Frage „Was kann ich mit Kopftuch denn überhaupt arbeiten?“ taucht in Beratungen immer wieder auf.
Dazu Dr. Katrin Menke: Das Argument in ostdeutschen Kommunen ist oft, dass es auf dem Arbeitsmarkt fehlende Erfahrungen mit Frauen mit Kopftuch gäbe. Die Schwierigkeiten für Frauen mit Kopftuch sind aber in Ost- und Westdeutschland gleich stark ausgeprägt.
Bemerkung aus dem Publikum: Viele Frauen mit Migrationshintergrund kommen freiwillig zum Jobcenter und viele sind gut qualifiziert und könnten und wollen arbeiten. Das Problem ist oft, dass die familiären Strukturen fehlen, um beispielsweise die Kinderbetreuung optimal zu gestalten. Die Frage nach dem Kopftuch wird auch nicht aus rassistischen Denkweisen der Jobcenter-Mitarbeitenden gestellt. Viele Unternehmen lehnen Beschäftigte mit Kopftuch ab – auch in Bereichen in denen in anderen Regionen selbstverständlich Frauen mit Kopftuch arbeiten (Verkauf von Lebensmitteln, Pflege …). Rassismen gibt es auch auf dem Arbeitsmarkt und durch Unternehmen wird Druck auf die Jobcenter ausgeübt.
Dazu Dr. Katrin Menke: Der Kita-Platz-Mangel ist in der Tat ein Problem, das den Zugang zum Arbeitsmarkt stark beeinträchtigt. Menschen mit rassistischen Wissensbeständen sind nicht automatisch gleichzusetzen mit Rassist*innen. Über die Erziehung und die Gesellschaft werden Wissensbestände vermittelte, auf die bei der Einschätzung von Situationen zurückgegriffen wird und die handlungsleitend sind.
Gedicht von Forat Albatman
Liebesgeschichte
Kommt, ich möchte euch etwas erzählen. Ich werde euch über die Schatten von Jasmin erzählen, über die Straßen und die schmalen Gassen wo viele Liebende verloren sind. Ich werde euch über die Geschichte junger Menschen erzählen, über die Waisen, die die Kindheit nicht schmeckten, über einen Jungen, den das Stöhnen überkam, über Warteschlangen, die auf Brot warten, über Erfolg, der als Gewinn betrachtet wird.
Darüber, dass in Regierungsämtern die mächtigen Leute sind und das Recht von den armen Leuten verloren ist. Über Embryonen, die aus dem Mutterleib gerissen wurden, über das Leid von Männern in meinem Land, über Gefängnis, Folter und Mord über Nabelschnur und Vene. Die beiden wurden mit einem Messer zerschnitten.
Meine Damen und Herren ich ging raus aus meinem Land, ohne Abschied oder Gruß. Schwanger mit Trauer. Ich sammelte meine verstreuten Teile auf. Eine Tasche von Erinnerungen trage ich mit. Ich habe einen Entschuldigungsbrief hinterlassen. Ich konnte nicht mit den Korrupten leben. ln euer Land bin ich nicht als Touristin gekommen. Ich möchte mich ausruhen. Ich suche Frieden und eine Heimat, in der Liebe und menschlicher Respekt herrschen. In der ich als Mensch lebe. Wo es keinen Unterschied zwischen mir und dir gibt.
Vieles ist ähnlich. Euer Land, euer Himmel und eure Heimat sind schön. Auch eure Liebe und eure Herzlichkeit. Aber auch, wenn wir in eurem Land für lange Zeit leben, wir werden Gäste bleiben. Entschuldigt, wenn ich euch sage Mein Körper ist hier, aber meine Seele ist dort. Sie schwebt zwischen Häusern und Mauern. Mein Herz ist zwischen zwei Ländern verloren. LetztendIich, egal wie lange ich von meinem Heimatland getrennt bin und die Entfernung groß ist, in meinem Herz bleibt die Sehnsucht. Es ist eine Liebesgeschichte, nicht nur Nostalgie.
Forat Albatman, Deutschland 15/01/2019