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Ein neuer Staat, ein Provisorium und glühende Demokraten Von Frank Jungbluth

Vor 73 Jahren, am 24. Mai 1949 um 0:00 Uhr, nur vier Jahre nach dem Ende des furchtbaren Zweiten Weltkrieges, trat in den elf Ländern Westdeutschlands das Grundgesetz in Kraft. Erlassen wurde es einen Tag zuvor vom Parlamentarischen Rat. Der 23. Mai 1949 ist die Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland.

Bonn/Berlin. Es war eine Feier ohne Prunk und Pathos. Als das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft trat, war die Not der meisten Bürger des neuen Staates zu groß, als dass rauschende Feste zu begründen waren. Im dritten Anlauf seit der republikanischen Bewegung von 1848 in Deutschland sollte es gelingen, eine Demokratie zu etablieren, die mitten in Europa für Frieden, Stabilität und Freiheit steht.

Viele der 70 Mitglieder des Parlamentarischen Rates, der sich aus Abgeordneten der Länderparlamente der westlichen Besatzungszonen zusammensetzte, glaubten, dass ihre Arbeit nur eine provisorische Verfassung und einen Übergangsstaat begründen würde. Der Glaube, Deutschland würde wiedervereinigt, war allgegenwärtig. Konrad Adenauer, der Rheinländer, den die Nazis töten wollten, war da realistischer: Der damals schon 73-jährige Christdemokrat leitete als Präsident die Sitzungen des Parlamentarischen Rates, dem Abgeordnete von CDU/CSU (27), SPD (27), Liberalen aus FDP, DVP und LDP (5), KPD (2) und Deutscher Partei (angehörten). Berlin durfte fünf Mitglieder entsenden. Sie waren allerdings wegen des Viermächtestatus der geteilten ehemaligen Reichshauptstadt nicht stimmberechtigt.

Von September 1948 bis Mai 1949 tagte das Gremium im Bonner Museum König, einem der wenigen repräsentativen Bauten, der den Krieg fast unbeschadet überstanden hatte. Am 8. Mai 1949, dem symbolträchtigen Tag der Kapitulation der Wehrmacht vier Jahre zuvor, verabschiedete der Parlamentarische Rat das Grundgesetz gegen die Stimmen von Kommunisten, Zentrum, Deutscher Partei und sechs Abgeordneter von CDU/CSU. Es war die verfassungs- und staatsrechtliche Basis der neuen Bundesrepublik und der Parlamentarische Rat hatte akribisch darauf geachtet, dass Fehler, wie man sie der Weimarer Verfassung von 1919 attestierte, im Grundgesetz nicht verankert wurden. Dazu beschränkte man unter anderem die Rechte des Bundespräsidenten. Denn der Reichspräsident der Weimarer Republik war zu mächtig: Er konnte Kanzler entlassen und ernennen, er konnte den Reichstag auflösen und war Oberbefehlshaber der Streitkräfte, der Reichswehr.

Unter einer schwarz-rot-goldenen Standarte liegt am 23.5.1949 das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auf einem Tisch im Sitzungssaal des Parlamentarischen Rates in Bonn. Das Gremium war an diesem Tag um 16.00 Uhr zu seiner letzten Sitzung zusammengetroffen. Foto: Picture Alliance

Wie fatal diese Machtfülle in der ersten Deutschen Republik von 1919 bis 1933 sein konnte, zeigte das Handeln des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Er ernannte am 30. Januar 1933 Adolf Hitler zum Kanzler und schuf damit die Basis für einen beispiellosen Verbrecherstaat, der den Zweiten Weltkrieg entfesselte und den Massenmord an sechs Millionen Juden beging. Alles das durfte sich nicht wiederholen, wenn Radikale nach der Macht greifen wollten, deshalb wurde das Amt des Bundespräsidenten mit bescheidenen Befugnissen ausgestattet. Er ist zwar Staatsoberhaupt, kann aber nicht in die Regierungsarbeit eingreifen, auch wenn er auf Antrag der Bundesregierung nach Artikel 81 des Grundgesetzes in Notzeiten den Gesetzgebungsnotstand erlassen könnte. Erster Bundespräsident wurde der Liberale Theodor Heuss. Ihn wählte die erste Bundesversammlung am 12. September 1949 im Bonner Bundeshaus zum Bundespräsidenten. Er setzte sich gegen den Sozialdemokraten Kurt Schumacher durch und sollte wegen seiner väterlichen und versöhnenden Art als „Papa Heuss“ in die Geschichte eingehen.

Wichtig war dem Parlamentarischen Rat fürs neue Grundgesetz vor allem auch der Artikel 23: „Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen.“ So wurde der Artikel die Basis für die Deutsche Einheit, die am 3. Oktober 1990 mit dem Beitritt der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt vollendet wurde.

Nach der dritten und letzten Lesung wurde am 8. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat in Bonn das westdeutsche Grundgesetz mit den Stimmen der CDU, SPD und FDP gegen die Stimmen der KPD, des Zentrums, der Deutschen Partei sowie sechs der acht Abgeordneten der bayerischen CSU angenommen und am 23. Mai 1949 unterzeichnet. Foto: Picture Alliance

Die Deutsche Einheit nach dem Zweiten Weltkrieg hat keine der Mütter und keiner der Väter des Grundgesetzes mehr erlebt. Jene, die fast ein Jahr an einer neuen Verfassung gearbeitet haben, waren honorige und lebenserfahrene Deutsche, vielen waren im letzten frei gewählten Reichstag Abgeordnete, Verfolgte des NS-Regimes und glühende Demokraten. So, wie Carlo Schmid, der Sozialdemokrat und Staatsrechtler, oder Heinrich von Brentano, der später als Bundesaußenminister die Wiederaufnahme der Republik in die Völkerfamilie begleitet hat. Thomas Dehler, liberales Urgestein, den die Nazis als Judenfreund diffamiert und verfolgt hatten. Elisabeth Selbert (SPD) setzte den Artikel 3 des Grundgesetzes durch: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“. Paul Löbe (SPD), der in der Weimarer Republik Reichstagspräsident war, von den Nazis fast zu Tode geprügelt und erster Alterspräsident des Deutschen Bundestages wurde.

Für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr ist das Grundgesetz, die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik, die Basis ihrer Arbeit, die sie auch mit ihrem Leben verteidigen. „Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe.“ Das ist die Eidesformel für Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit. Sie steht im Paragraph 9 des Soldatengesetzes. Es trat am 1. April 1956 in Kraft, da war die Bundeswehr seit fünf Monaten im Aufbau. Sie hatte und hat als ein oberstes Prinzip den „Staatsbürger in Uniform“. Er ist das Leitbild der Inneren Führung. Ohne das Grundgesetz wäre die Bundeswehr nicht denkbar.

Die Farben der Bundesrepublik sind Schwarz, Rot und Gold. Es waren schon die Farben der Frankfurter Nationalversammlung von 1848, die einer ersten Deutschen Republik eine Verfassung geben sollte. Die erste Demokratie auf deutschem Boden scheiterte. Der preußische König und die Regenten von Bayern und Hannover zwangen die Abgeordneten mit Gewalt zur Aufgabe.

Professor Stephan Harbarth (CDU), Präsident des Bundesverfassungsgerichts, bezeichnete das Grundgesetz in seiner Rede zum Geburtstag des Grundgesetzes als eine Verfassung, die unserem Land „die längste Periode der Freiheit und der Demokratie beschieden hat" - dies sei nicht selbstverständlich, sondern ein großes, historisches Glück. Ein starkes Bundesverfassungsgericht war der Wunsch derer, die das Grundgesetz ausgearbeitet haben. So, wie starke Grundrechte für jeden Bürger. Das Gericht sollte als Verfassungsorgan und oberster Gerichtshof auf Bundesebene verhindern, dass Regierungen wie die der Nazis die Verfassung zerstören können. Das ist den „Hütern der deutschen Verfassung“ seit 72 Jahren gelungen. Der Präsident steht auf Platz fünf in der Rangordnung der Staatsspitze, nach Bundespräsident, Bundestagspräsident, Bundeskanzler und Präsident des Bundesrates.