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Anita Savidan-Niederer ESOPE, Unisanté Lausanne

Porträt

Anita Savidan-Niederer auf dem Weg zur Arbeit und zusammen mit ihrem Kollegen Dr. Federico Cathieni.

Anita Savidan-Niederer, Sie wären eigentlich im Frühling 2021 pensioniert worden. Was hat Sie motiviert, länger zu arbeiten?

Der wichtigste Grund: Ich finde meine Aufgaben faszinierend! Dank der «Verlängerung» konnte ich die aktuelle Messung der Patientenzufriedenheit noch bis zum Schluss betreuen und den Nationalen Vergleichsbericht dazu verfassen. Zudem war mir eine sorgfältige Einarbeitung meiner Nachfolger Chiara Storari und Julien Junot wichtig. Für eine nahtlose Weiterführung sorgt natürlich auch unsere Vorgesetzte Prof. Isabelle Peytremann-Bridevaux, die seit den Anfängen der Messung dabei ist.

Auf welche beruflichen Highlights blicken Sie speziell gerne zurück?

Immer, wenn ich in ein neues Thema eintauchen konnte, war das ein Highlight. Deshalb fand ich die Analyse der Zufriedenheitsmessung in anderen Ländern auch so spannend, die ich zuletzt im Auftrag des ANQ durchführen durfte. In bester Erinnerung werde ich auch die Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen behalten. Die vielen unterschiedlichen Perspektiven waren sehr bereichernd.

Sie sind eine ausgewiesene Expertin für Zufriedenheitsbefragungen. Machen Sie selber noch bei Umfragen mit?

Ja, ich nehme gerne an Online-Umfragen teil. Aber nur, wenn das Thema für mich relevant ist und ich das Gefühl habe, meine Aussagen könnten etwas bewegen. In der Regel verzichte ich auf ganz knappe und auf ganz umfangreiche Umfragen. Bei Themen, die mir sehr am Herzen liegen, spielt die Länge aber keine Rolle.

Sie beschäftigen sich seit 2016 mit der ANQ-Messung der Patientenzufriedenheit. Wie haben sich die Ergebnisse in dieser Zeit entwickelt?

Die nationalen Ergebnisse sind – auch aufgrund der grossen Anzahl Antworten – sehr konstant. Alleine in der Akutsomatik erhalten wir jeweils rund 30'000 Rückmeldungen, einzelne «Ausreisser» fallen deshalb kaum ins Gewicht. Auf Spitalebene kann es dagegen sehr wohl zu Verschiebungen kommen. Am meisten veränderte sich die Rücklaufquote. 2011 lag diese in der Akutsomatik noch bei knapp 50%, heute – 10 Jahre später – beträgt sie weniger als 39%. Der sinkende Rücklauf ist ein generelles Problem. Die grosse Frage ist, wie dieser Trend gestoppt werden kann.

«Immer, wenn ich in ein neues Thema eintauchen konnte, war das ein Highlight.»

Was schlagen Sie vor?

Die Teilnehmenden müssen wissen, dass ihre Antworten etwas bewirken. Ich finde es deshalb super, wenn Spitäler auf ihren Websites Verbesserungen publizieren, die auf Patientenfeedbacks zurückgehen. Aber es gibt kein Patentrezept, um den Rücklauf zu erhöhen. Denn nicht alles, was gut für die Rücklaufquote ist, ist gut für die Qualität der Antworten. Ein Beispiel: In Anwesenheit von Personal werden zwar mehr Fragebögen ausgefüllt, aber es besteht das Risiko, dass es zu Verzerrungen kommt. So kann es sein, dass die Befragten nicht das wiedergeben, was sie wirklich denken – sondern das, was sie als «mehrheitsfähig» erachten oder was ihrer Meinung nach den Erwartungen entspricht. Man spricht in solchen Fällen vom Effekt der sozialen Erwünschtheit.

Welche Herausforderungen stellen sich bei der Datenanalyse und bei der Berichterstattung?

Die grösste Herausforderung ist das Timing. Jeder Arbeitsschritt ist genau geplant, sorgfältig mit dem Messlogistikzentrum w hoch 2 koordiniert und auf die Zeitpläne des ANQ abgestimmt. Die Auswertung der Daten, das Erstellen der Funnel-Plots, das Verfassen der Berichte und die Übersetzungen – das alles ist sehr zeitintensiv. Auch wenn vieles automatisiert ist, gibt es immer verschiedene Zusatzauswertungen oder Änderungen, die wir manuell vornehmen.

Sie haben die Analyse der Zufriedenheitsmessung in verschiedenen Ländern erwähnt. Was sind die wichtigsten Trends?

Für alle untersuchten Länder ist der Rücklauf ein grosser Challenge. Die meisten setzen auf Online-Umfragen. In einigen Ländern erhalten die Patientinnen und Patienten diese via E-Mail, in anderen via SMS. Auch der Umfang ist allgemein ein Thema. Das Beantworten darf nicht zu aufwendig sein – gleichzeitig ist bei den Antworten eine gewisse Tiefe gewünscht. Die abgefragten Aspekte und die Antwortskalen sind in den untersuchten Ländern vergleichbar, bei der Darstellung der Resultate gibt es aber Unterschiede.

Welche Empfehlungen haben Sie für die Schweiz abgeleitet?

Der Schlussbericht beinhaltet eine Liste mit konkreten Empfehlungen. Gerne greife ich drei heraus: Patientinnen und Patienten sollten sich schon bei der Erarbeitung des Fragebogens einbringen können – und nicht erst beim Testen der Frage-Items. So wird sichergestellt, dass die abgefragten Bereiche als relevant beurteilt werden. Wir empfehlen zudem, eine überschaubare Zahl an Qualitätsdimensionen aufzunehmen und zu jeder Dimension mehrere Fragen zu stellen. Auch kann eine offene Frage sinnvoll sein. Offene Fragen sind zwar in der Auswertung anspruchsvoll, können den Spitälern und Kliniken aber wichtige Hinweise geben. Zudem erhalten die Patientinnen und Patienten so die Möglichkeit, ihre persönliche Meinung festzuhalten und allfälligen Frust «abzuladen».

Wenn Sie an Ihre Pensionierung denken – was werden Sie vermissen? Und auf was freuen Sie sich am meisten?

Es tut mir schon etwas weh, dass ich nun nicht mehr aus nächster Nähe mitverfolgen kann, wie sich die ANQ-Messung der Patientenzufriedenheit weiterentwickelt. Aber ich freue mich sehr darauf, den Tag frei gestalten zu können. Dafür warten nun einfach mehr Verpflichtungen im Familien- und Freundeskreis. Ich bin gespannt, wie gross die neue Freiheit tatsächlich sein wird ...

Anita Savidan-Niederer, Dr. ès sc., hat an der Université de Neuchâtel Biologie studiert und doktoriert. Dieser Werdegang sei eine hervorragende Basis gewesen, um unterschiedlichste Tätigkeiten auszuüben, erzählt sie. Bevor sie im Jahr 2014 nach Lausanne kam, war sie für das Krebsregister St.Gallen-Appenzell (heute Krebsregister Ostschweiz) tätig. An der Unisanté betreute sie unter anderem das Anästhesieregister und das Mandat von Cochrane Schweiz. Seit 2016 ist sie für die Auswertung der ANQ-Messung der Patientenzufriedenheit zuständig.

Weitere Informationen: Schlussbericht des ESOPE zur Literaturrecherche und Bestandesaufnahme (auf Englisch)

Fotos: © Geri Krischker / ANQ