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Die Kniestedter Kirche Wo die Welt des Kabaretts zuhause ist

VORWORT

Die Kleinkunst ist zentraler Bestandteil der Kniestedter Kirche. Die Kleinkunstbühne Salzgitter-Bad e.V. hat es geschafft, seit fast 40 Jahren die bekanntesten deutschen Kabarettist:innen zu sich auf die Bühne einzuladen. Mit einem Hauch von Nostalgie werfen wir einen Blick auf diesen beliebten Veranstaltungsort und stellen die Ergebnisse aus 50 Interviews mit Kabarettist:innen und Satiriker:innen vor, die zwischen 1985 und 2020 in der KNIKI auftraten. Es geht um ihre Begeisterung für den Beruf, besondere Erinnerungen an ihren Auftritt und individuelle Einschätzungen zur Zukunft des deutschen Kabaretts.

Seit 1985 nutzt die Kleinkunstbühne Salzgitter-Bad e.V. die Kniestedter Kirche mit großem Erfolg als Kulturveranstaltungsort.

DIE KNIESTEDTER KIRCHE IST EINZIGARTIG

Die KNIKI ist in vielerlei Hinsicht einzigartig. Zum einen ist es die Atmosphäre dieser entwidmeten Kirche, die vielen Künstler:innen auch noch Jahre nach ihrem Auftritt im Gedächtnis geblieben ist. Sie beschreiben die Energie dieses Gebäudes als „wahnsinnig positiv“, das Publikum als „absolut lebendig“, Hans Scheibner ergänzt den Ausdruck „Satirefachpublikum". Zum anderen schätzen sie alle die herzliche Art der Gastgeber:innen. In einem Videozusammenschnitt sind einige Erinnerungsmomente festgehalten.

Da sich alle Künstler:innen im Gästebuch verewigen, ist über die Jahre eine unendliche Sammlung von Danksagungen und Liebesbekundungen an die Kulturkirche entstanden. Ein paar davon können beim weiteren Scrollen bestaunt werden.

„Kabarett ist, wenn man darüber lachen kann, worüber man sonst eigentlich weinen müsste." (Marion Bach und Hans-Günther Pölitz, Magdeburger Zwickmühle)

Warum KNIKI? Django Asül hat die Antwort.

Auch Alfons bedankt sich für seinen gelungenen Auftritt (auf Französisch) und rechts erlaubt sich jemand anderes einen Spaß.
Seitenansicht der KNIKI.

Werner Momsen ist wie so viele seiner Kolleg:innen „Wiederholungstäter" und bereits zweimal in der KNIKI aufgetreten. Er beschreibt die Kirche als „klein, bunt und knuffig".

Werner Momsens Eintrag ins Gästebuch im Oktober 2017.

Gibt es ein Risiko bei kleinen Bühnen?

Diese Frage sorgte erstmal für Verwirrung, denn die Kabarettist:innen sehen kein einziges Problem, sofern finanzielle Risiken ausgeschlossen werden können. Das Risiko in der KNIKI besteht allerhöchstens darin, sich wie im Lob- und Erinnerungsvideo beschrieben, den Kopf zu stoßen, weil der Bühnenaufstieg so niedrig ist. „Grundsätzlich spielt die Größe keine Rolle", wie Sven Kemmler so schön sagte. Zu wenige Menschen in einem zu großen Saal sei viel schlimmer. Und das ist sowohl für die Künstler:innen, die veranstaltenden Personen und auch für das Publikum selbst sehr ernüchternd. Das Verhältnis des Publikums zur Räumlichkeit muss stimmen. Das Gefühl von „wo wir sind, ist richtig", wie es Michael Krebs beschrieb, trägt zur Grundstimmung des gesamten Abends bei und da hilft es, wenn alle Sitzplätze belegt sind. Zum Glück ist das in der Kniestedter Kirche meistens der Fall.

Die kleine Bühne kann man größer wirken lassen, wenn man sich ganz klein macht, flüstert und oft nach oben schaut, als würde da das wahre Publikum sitzen. Wir spielen für den Himmel. (Erwin Grosche)
Das Innere der KNIKI, aufgenommen in etwa Bühnenhöhe mit Blick auf das Publikum, auf die Empore und Paul Beßler am Tresen.

Kleine Bühnen bieten eine andere Intensität und Nähe zum Publikum, die Gesichter der Zuschauer:innen sind deutlicher zu erkennen, der oder die Einzelne ist leichter zu beobachten. Allerdings kann es passieren, dass sich die Leute womöglich weniger schnell vom Gelächter anderer anstecken. Sie spüren, dass auch schnell alle Augen auf sie selbst gerichtet sein könnten und trauen sich vielleicht nicht direkt herzhaft zu lachen wie es in einer großen, anonymen Halle der Fall wäre. Trotzdem ist es „[...] die Einzigartigkeit, das Besondere, die spezielle menschliche Perspektive, etwas, das im Raum passiert", beschreibt Krebs weiter, was an kleinen Bühnen fasziniert und jeden Abend zu etwas Besonderem macht.

Es ist einfacher vor großem Publikum zu spielen und es ist schöner vor kleinem zu spielen! (Rolf Miller)

Die meisten Kleinkünstler:innen fühlen sich auf kleinen Bühnen wohler, weil es ihrer Arbeit nachsieht. „Das Kabarett lebt von der Nähe", schrieb Christoph Sieber und auch andere Künstler:innen sprechen sich klar für kleine Säle aus. In einer Mehrzweckhalle mag die gute Stimmung vielleicht schneller erzeugt werden, wenn sich das Publikum zügiger dazu hinreißen lässt. In Erinnerung bleiben dennoch die Spielstätten, die mit ihrer Individualität und ihrem Charme überzeugen - so wie es die KNIKI schafft.

Die kleinen Bühnen bieten dem Kabarett die meisten Chancen. Sie sind der Kern unseres Berufes. (Andreas Rebers)

Es ist nicht nur die Atmosphäre in der ehemaligen St. Nikolai Kirche, sondern auch das Team, das diesen Ort zu etwas ganz Besonderem macht und prominente Kabarettist:innen noch immer an ihren Auftritt erinnern lässt. Es spricht für sich, dass beispielsweise Şinasi Dikmen (Die Käs) 1988 auftrat und so viele Jahre später nun im Interview die gute Gastfreundschaft beschreibt.

ZU TISCH BEI DEN GRÜNDERN

Paul Beßler und Wolfgang Pozzato erzählen über die Entstehung des Vereins. Es ist ein Blick in die Vergangenheit mit anschließenden Wünschen für die Zukunft der KNIKI.

Klaus Geisser trat mit seiner Frau Christel im Januar 1984 mit den Mitgliedsnummern 9 und 10 der KKB bei; mit den Worten „Das ist so chaotisch, das ist das genaue Gegenteil von meiner Arbeit, da machen wir mit!". Er unterstützt den Verein seitdem bei allen finanziellen Belangen, war außerdem im Vorstand tätig und ist aus dem Team nicht wegzudenken.

Die Broschüre zum elfjährigen Gründungsjubiläum, in der auf die letzten Jahre zurückgeblickt und auf anstehende Veranstaltungen aufmerksam gemacht wurde.
Die Gründer und Vereinsmitglieder: oben rechts Klaus Geisser, v.u.l. Paul Beßler, Hermann Deneke, Stefan Knoll und Wolfgang Pozzato 2012 zum 30-jährigen Jubiläum der KKB sowie zwei weitere Erinnerungsaufnahmen der damaligen analogen Schautafel.

Als Veranstalter prägen und fordern sie ihr Publikum. Sie geben ihre eigene Leidenschaft für die Kleinkunst an die Zuschauer:innen weiter. Die Kabarettist:innen wünschen sich den idealen Veranstalter genauso, wie sie es in der KNIKI erleben - ein schöneres Kompliment kann es nicht geben! Mit Begeisterung, voller Hingabe und großem Interesse den Auftritten entgegen fiebernd. In den Gesprächen wird immer wieder die Wichtigkeit von gelungener Werbung und Veranstaltungsankündigungen im Vorfeld betont und eine Programmplanung, die „locker, bunt und eine gute Mischung ist" (Luise Kinseher).

9 wichtige Kriterien, die den oder die ideale Veranstalter:in ausmachen und für die KNIKI sprechen.
Bei der Vielzahl der Spielorte im Laufe der Jahre bleibt nicht immer alles hängen. Allerdings habe ich den Spielort mit der guten technischen Ausstattung (nicht selbstverständlich) noch gut in Erinnerung und auch die netten Veranstalter haben einen nachhaltig positiven Eindruck hinterlassen. Nicht jeder Veranstalter legt Wert auf die Inhalte des Programms, vielen reicht es leider, wenn das Publikum vergnügt ist und die Hütte voll. (Hubert Burghardt)
Bis heute hält die KKB an diesem Grundsatz fest, der 1993 in der Jubiläumsbroschüre erschien. Die Diversität in der Programmplanung ist beispiellos.

„Ich hatte durch das Kabarett den Zuschauern das sagen können, wofür sie mir sonst keine Zeit schenken würden. Die Behandlung des Anderen, sei es Nationen, Gruppen, Religionen. Hautfarben, motivierte mich etwas dagegen zu sagen. Ich wollte zwar niemals den Kohlhaas geben, aber da ich der erste unter den 9 Millionen Gastarbeitern und seiner Zeit der Einzige war, der sich mit dem Dasein satirisch auseinander setzte, musste ich einiges zurecht biegen. Das war meine Motivation." (Şinasi Dikmen)

Şinasi Dikmen, Die Käs

Der Auftritt von Martin Herrmann liegt fast 30 Jahre zurück. Dennoch war er bereit für ein Zoom-Gespräch, in dem er genauso lebendig war, wie er damals im Programmheft der KNIKI angekündigt wurde.

Wir wollen jungen Künstlern aus der Region ein Podium zur Selbstdarstellung schaffen und ein möglichst abwechslungsreiches, breit gefächertes Programm anbieten. (Wolfgang Pozzato im Kehrwieder am Sonntag 1982)

Das haben Wolfgang Pozzato und das Team geschafft. Seit 1985 traten ca. 125 verschiedene Kabarettist:innen in der KNIKI auf. Mittlerweile zählt die Kleinkunstbühne Salzgitter-Bad e.V. außerdem 420 Mitglieder und realisierte 611 Veranstaltungen. 79 165 Besucher:innen waren seither in der Kniestedter Kirche.

GERT FRÖBE

Gert Fröbe zählt zu den bekanntesten und erfolgreichsten Charakterdarstellern der frühen Bundesrepublik. Unvergessen bleibt er durch seine Rolle als Auric Goldfinger im dritten Teil der James-Bond-Filmreihe. Mit seinem Auftritt in der Kniestedter Kirche im Februar 1986 hat er so manchen Stein ins Rollen gebracht, da durch seinen Bekanntheitsgrad auch viele weitere Künstler:innen in der KNIKI auftreten wollten.

Autogrammkarte von Gert Fröbe.
Eine Fotocollage über das Jahr 1986, fotografiert auf der Ausstellung „21 Jahre KKB" in Salzgitter-Bad.

Fröbes Auftritt im Februar 1986 gilt als „Türöffner" weiterer prominenter Künstler:innen, die durch ihn auch die Atmosphäre in der KNIKI erleben wollten.

Die Kleinkunstbörse ist die wichtigste Plattform für diese Branche, denn talentierte Künstler:innen beweisen sich live vor Fachpublikum und haben die Chance, direkt vor Ort gebucht zu werden. Die KKB bot dieses Format damals sogar in Salzgitter an, mittlerweile ist die bekannteste Fachmesse für Kleinkünstler:innen in Freiburg. Wolfgang Pozzato fährt bis heute dorthin und schaut sich den Nachwuchs an.

Damals konnten sie Fröbes Auftritt als Aushängeschild nutzen, um viele weitere begabte Kunstschaffende für ihren Veranstaltungsort zu gewinnen.

Die Begeisterung für Gert Fröbe ist auch in den privaten vier Wänden der KKB-Gründer unverkennbar.
Die KNIKI von oben.

Dieter Hildebrandt

Das Kabarett ohne Dieter Hildebrandt ist für die meisten unvorstellbar – auch nach seinem Tod im Jahr 2013. Immer wieder wurde Hildebrandt in unseren Interviews durch seinen Sprachwitz und die politische Scharfsinnigkeit als Vorbild und inspirierende Persönlichkeit genannt. Kaum ein anderer prägte das politische Kabarett des 20. Jahrhunderts so eindringlich wie Dieter Hildebrandt. In den Jahren 1956 bis 1972 gehörte er zum Ensemble der Münchner Lach- und Schießgesellschaft, an dessen Gründung er beteiligt war. Mit Werner Schneyder, der 2005 in der KNIKI auftrat, war er eine Zeit lang im Duo unterwegs und stand von 1980 bis 2003 für das ARD-Fernsehkabarett Scheibenwischer auf der Bühne. Die Ikone des politischen Kabaretts begeisterte insgesamt viermal – 1989, 2005, 2009 und 2012 - das Publikum in Salzgitter. Als Dankeschön für die gemeinsame Zeit erhielt Hildebrandt ein eigenes Buch mit vielen Erinnerungen an seine Besuche (s.u.).

Im Erinnerungsalbum an Dieter Hildebrandt sind viele prägende Erlebnisse an seine Besuche verewigt. Unten rechts sitzt Hildebrandt zwischen Wolfgang Pozzato und Klaus Geisser, darunter sitzt er Christel Geisser gegenüber.
„Die Jungs und Mädels der Kleinkunstbühne" auf einem gemeinsamen Foto mit Dieter Hildebrandt am Tresen in der KNIKI.
Die Zeitungsberichte und Plakate von Dieter Hildebrandt waren fester Bestandteil der Ausstellung zum 21-jährigen Jubiläum.

HANS SCHEIBNER

Die dritte prominente Persönlichkeit in der KNIKI ist der deutsche Kabarettist, Satiriker und Liedermacher Hans Scheibner. Ganze sieben Mal war er zu Gast und gilt damit als Spitzenreiter. Neben Hildebrandt ist der 85-Jährige für viele bis heute eine riesige Inspiration.

Herr S. und die Morgengymnastik

Herr S. macht sechzehn Liegestütz als tägliche Gymnastik, geht achtmal in den Schneidersitz - schön langsam, nicht so hastig - beugt seinen Rumpf, und zwar zurück, macht sieben Scherensprünge, Kniebeugen bis zu fünfzig Stück und dreizehn Hüftaufschwünge; beginnt den Tag frisch und befreit, fühlt, wie er fit und stark ist, und denkt: Es tut mir richtig leid, dass dieser durchtrainierte Leib trotz allem - für den Sarg ist.

Für weitere Gedichte von Hans Scheibner hier klicken.

Mit Scheibners zweitem Auftritt 1988 beginnt die KKB ihr erstes Gästebuch. Dort schrieb er damals:

Ich, Hans Scheibner, habe dieses Buch begonnen. Was kann nach mir noch Bedeutendes kommen?
Die Ankündigung für Scheibners Auftritt im November 1993.

„Die einzige Kirche, in die ich gehe! Es war wieder ganz groß bei Euch! Amen und Danke! Euer Hans Scheibner" (09.11.2001)

Eine Fotografie aus Scheibners Gästebuch-Eintrag nach seinem vierten Auftritt in der KNIKI. Ebenfalls aufgenommen bei der Ausstellung 2004 in Salzgitter-Bad.

Im persönlichen Gespräch mit Hans Scheibner kritisiert er die Frage nach dem Altersdurchschnitt des typischen Kabarett-Publikums aufgrund des kommerziellen Grundgedankens dahinter. Ihm geht es nicht darum, junge Zuschauer:innen für sich zu begeistern, sondern die Menschen aus innerer Überzeugung für sich zu gewinnen. Wer nicht begeistert werden will, den könne man nicht begeistern.

Das Publikum in der KNIKI wird von den auftretenden Künstler:innen sehr geschätzt. Es gilt als Fachpublikum, das „sehr erprobt" sei, lobte Tina Teubner. Mit den Jahren gab es verschiedene Umfragen zum Altersdurchschnitt und zum Geschlecht des Publikums, die zeigten, dass das Publikum in Salzgitter mit gealtert ist. So seien es überwiegend ältere Besucher:innen und häufiger Frauen, die ins Kabarett gingen. Dieser Eindruck bestätigt sich auch in den Gesprächen, es ist ein generelles Phänomen. Für die meisten stellt es dennoch kein Problem dar.

Urban Priol hat es geschafft, drei Generationen in seinem Publikum vertreten zu haben. Ein Ritterschlag, wenn man so will, denn das gelingt nicht vielen Kleinkünstler:innen.

Meistens geht die Jugend davon aus, dass Kabarett eine Unterhaltungsform für Ältere ist, die dabei zusehen, wie auf der Bühne die Politik kommentiert wird - Comedy wird im Vergleich dazu eher als „leichte Kost" wahrgenommen, die Unterhaltung für alle bedeutet. Doch warum ist das so und gibt es diese Diskrepanz tatsächlich? Auf diese Frage gibt es gespaltene Meinungen. Vielen Künstler:innen ist bewusst, dass ihr Publikum selten unter 25 Jahren ist. Steven Förster ist überzeugt, dass manche Dinge im Leben nun mal ihre eigene Zeit hätten.

Kabarett hat ein wahnsinnig staubiges Image. (Philipp Scharrenberg)

Ein Wendepunkt war das Interview mit Lutz von Rosenberg Lipinsky, in dem klar wurde: Kabarett scheint für einige als veraltet, erfährt dennoch durch jüngere Künstler:innen einen unheimlichen Aufschwung, auch wenn es dabei eher unter dem Begriff „Satire" beworben wird.

„Seit 2015 ist das Publikum und die Gesellschaft politisiert", sagte er direkt. An politischem Interesse kann es nicht mangeln. Bewegungen wie Fridays for Future zeigen, wie stark die politische Teilhabe in den letzten Jahren angestiegen ist, wenngleich das nicht zwangsläufig mit dem Interesse fürs Kabarett zusammenfallen muss. Es muss neben dem angestaubten Ruf also andere Gründe geben. Der Zugang zum Kabarett scheint einer zu sein.

Hinterher kamen Lehrer zu mir, die sagten: Das, was ihr da in zwei Stunden vermittelt habt, das schaffen wir nicht in sechs Monaten, obwohl es so wahnsinnig lustig war! (Michael Ehnert)

Michael Ehnert spricht im Interview von einer Berührungsangst, überhaupt erst einmal mit kabarettistischen Inhalten in Kontakt zu kommen. Dennoch war die Begeisterung nach seinen Auftritten auch bei den Jüngeren riesig. Diese Begeisterung kann anhalten und dazu führen, dass sich neue, junge Zuschauer:innen langfristig ins Publikum setzen.

Im Englischen gibt es die Begriffstrennung von Comedy und Kabarett nicht. Die Leute zum Lachen zu bringen, steht im Mittelpunkt. Konsens über eine Bezeichnung der Kunstform besteht dabei nicht wirklich, denn während manche an dem eigentlichen Begriff „Kabarett" zweifeln und lieber noch weitere Bezeichnungen für ihre Bühnenshow auf die Plakate drucken lassen, sehen andere diesen Begriff als Chance, das Publikum mit politischem Witz zu unterhalten und dabei tiefer zu bohren, als es in ihren Augen die Comedy tut.

Sven Kemmlers Vorschlag für neue Wortschöpfungen und die Begriffstrennung: „Unterm Strich sind wir alle Komiker!"

Hinsichtlich des politischen Engagements und des persönlichen Zugangs zum Kabarett befinden sich Bildungseinrichtungen in einer Schlüsselposition, die für viele Kabarettist:innen Auslöser gewesen ist, überhaupt mit der Kleinkunst zu beginnen. Kooperationen zwischen Schulen und Theatern bieten eine erfolgsversprechende Zukunftsperspektive für junge kreative Menschen, die sich künstlerisch oder auch politisch einbringen möchten und gleichzeitig für die Veranstaltungsorte, die um ihre Nachfolge bangen. Dieter Richter von der Leipziger Pfeffermühle bestätigt die positive Zusammenarbeit und kann nur dazu raten. Hans-Günther Pölitz beschreibt den Enthusiasmus einer Schulklasse nach einem Kabarettbesuch im Interview, das im Eingangsbereich der Magdeburger Zwickmühle geführt wurde. Neben dem Altersdurchschnitt des Publikums geht es im Gespräch auch um die Entwicklung des Kabaretts.

Mit diesen Erkenntnissen haben wir Hartmut Schölch, den Fachdienstleiter Kultur der Stadt Salzgitter konfrontiert. Der studierte Kulturwissenschaftler machte deutlich, dass ein hoher Altersdurchschnitt nicht nur das Kabarettpublikum betrifft, sondern auch andere Bereiche der Kulturszene - was es natürlich nicht besser macht.

Das Publikum war damals so jung wie ich und ist jetzt so alt wie ich.

Lösungen sieht er in gemeinsamer Projektarbeit mit den Schulen und zusätzlichen Ticketvergünstigungen für Theater und Museen.

Wir haben die Verantwortung, der sog. Jugend oder jedem Bürger einen Zugang zu verschaffen.

Dennoch blickt er realistisch in die Zukunft. Er ist der Meinung, es sei verfehlt, die Jugend zu belehren, was Kultur ist. Schölch beschreibt im Interview Modelle für Theaterprogramme aus anderen Regionen und verweist darauf, dass es zum einen auf die Lehrerschaft ausgerichtet ist und ein Engagement seitens der Schule bestehen muss und zum anderen ein konkretes Betriebsformat erforderlich wäre, was es in der KNIKI in der Form nicht gibt. In großen Theaterhäusern ist das etwas anders. Daher bieten sich in dem Fall eher AG-Projekte an, die zeitlich begrenzter sind und weniger Personal erfordern.

Das Publikum geht mit dem Vorstand. Die Liebe zu etwas wird es in die Zukunft tragen.

Die neuen Generationen entwickeln ihre eigenen Formate, sagt er. So würden sich alle Kulturformate verändern. Ob sie alle überleben, wissen wir nicht. Doch was wäre schlimm daran? „Wir wachsen mit unseren Sozialsystemen. Es wird sich Neues generieren. Die Jugend wird wieder Räume besetzen, die da sind oder neue Räume schaffen", entgegnet Schölch. Dieser Gedanke nimmt die Dramatik. Und wer weiß, vielleicht findet sich jemand, der die Arbeit der Gründer der KKB mit genauso viel Herzblut weiterführt, denn, so Schölch weiter:

„Die KNIKI ist ein sehr wertgeschätztes Juwel."

Neben den genannten Aspekten kostet es Zeit und Geld eine Veranstaltung zu besuchen. Zwei Dinge, die gerade jüngeren Menschen nicht endlos zur Verfügung stehen, weshalb Projektideen und Förderprogramme eine so entscheidende Rolle für das heranwachsende Publikum darstellen. Aber auch, wenn junge Menschen erst nach der Familienplanung ihre Leidenschaft für die Kulturszene entdecken, ist das für die meisten Künstler:innen völlig legitim. Dabei schließen wir uns dem Urteil von Michael Krebs an: Die Leute sind nicht schlechter, nur weil sie älter sind. Wichtig ist, dass das Publikum neugierig bleibt.

Einen Vorgeschmack bieten die Bücher, Lieder, Gedichte und Manuskripte der Kleinkünstler:innen, denn Vince Ebert, Jess Jochimsen und viele weitere sind nicht nur auf der Bühne oder in Fernsehshows erfolgreich, sondern auch als Autoren tätig. Außerdem sind einige auf den sozialen Plattformen sehr aktiv und bieten Publikumsnähe ganz kostenfrei. Auch wenn es den Kabarettbesuch nicht ersetzt, ist es empfehlenswert.

Gibt es regionale Unterschiede?

Die befragten Kabarettist:innen sind sich einig, dass ein Bühnenprogramm überall funktionieren muss. Niemand verstellt sich für sein Publikum, dennoch fließen hier und da regionale Besonderheiten in die Sketche ein. Die einen sagen, es gibt ansonsten regional keine unterschiedlichen Reaktionen seitens des Publikums, wenn überhaupt spielen die Wochentage eine Rolle. Hans-Günther Pölitz oder Steven Förster betonen wiederum die unglaubliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung, die es im Publikum aus den neuen Bundesländern immer noch geben soll, da dieses lange Zeit nicht so pointierten politischen Sprachwitz erlebt habe.

Steven Förster spricht im Interview über genau diese Erlebnisse mit dem ostdeutschen Publikum und der Sichtbarkeit von Kabarettist:innen, um die es im weiteren Verlauf gehen wird.

Werden Kabarettistinnen ausreichend repräsentiert?

Blickt man in die Vergangenheit, fällt auf, dass große, einflussreiche Namen des Kabaretts überwiegend männlich klingen. Auch die Persönlichkeiten, die unsere Interviewpartner:innen in ihrer Laufbahn geprägt haben, sind fast ausschließlich männlich. Frauen im Kabarett des 20. Jahrhunderts können die meisten nahezu an einer Hand abzählen. Helen Vita und Hanne Wieder zählen zu den bekanntesten Kabarettistinnen ihrer Zeit und standen auch in der KNIKI auf der Bühne.

In den Gesprächen bestätigte sich dieses Bild zwar, gleichzeitig waren sich die meisten sicher, es seien in den letzten Jahren viele Kolleginnen hinzugekommen. Es wird eine deutlich weiblichere Zukunft für das Kabarett prognostiziert, als es bisher der Fall war.

(v.l.n.r. Christel Geisser, Lilo Pulver, Jörg Nowak und der frühere Oberbürgermeister Rudolf Rückert, 28. September 1997)

Im Bereich des Kabaretts standen 16 Solokabarettistinnen, 2 rein weibliche Duos, 6 gemischte Duos sowie 6 gemischte Gruppen mit mehr als zwei Personen mindestens einmal in der KNIKI auf der Bühne.

Welche Gründe gibt es für das mutmaßliche Ungleichgewicht?

Es gibt nicht zu wenige Frauen, aber jungen, noch unbekannten Frauen muss eine Auftrittsmöglichkeit geboten werden. (Steven Förster)

Neben möglicherweise schwierigeren Einstiegschancen, bedeutet der Berufszweig immer unterwegs zu sein, von einer Spielstätte zur nächsten touren, ein Familienleben ist da nur schwer möglich. Genau das spricht Luise Kinseher im Interview an: „Also einerseits weiß ich, dass es ein wahnsinnig intensiver Job ist, also das hinzukriegen, mit Familie zu vereinbaren, ist richtig hart. Man ist ja nachts weg und da muss man schon gut aufgestellt sein familiär und im sozialen Netz, dass man das dann gut hinkriegt. Es ist ein familienfeindlicher Beruf, würde ich jetzt mal sagen." (Luise Kinseher)

Die sechs Frauen aus unserer Befragung.

Neben dem familiären Aspekt braucht es ein gewachsenes Selbstvertrauen, um politisch oder gesellschaftskritisch auf der Bühne unterhalten zu können. Frauen wird dabei nachgesagt, dass sie sich eher zur Selbstkritik und Zweifel hinreißen ließen und solche „Wettkampfsituationen", wie Rolf Miller seine Auftritte beschreibt, weniger gut heißen wie es ihre männlichen Kollegen vielleicht tun. Auch Detlef Simon ist der Ansicht, dass bei einem misslungenem Abend die Männer behaupten „Scheiß Publikum” und Frauen sagen: „Oh, was habe ich jetzt falsch gemacht?” und gibt zu, dass das eigentlich der sehr viel bessere Ansatz sei. Außerdem wird ihnen weniger zugetraut. Warum das so ist, kann keiner so richtig beantworten. Vielleicht weil Männer diese Branche bisher dominierten und es sich dadurch etabliert hat.

Die politische Analyse wird immer noch eher dem Mann zugetraut als der Frau. (Lutz von Rosenberg Lipinsky)

Rollenvorbilder sind also dringend notwendig. Frauen, die medial abgebildet werden, für den Beruf und ihre Leidenschaft einstehen und gefeiert werden, werden so zu Identifikationsfiguren jüngerer Generationen. Auch dafür soll dieses Projekt genutzt werden. Um darauf aufmerksam zu machen, dass immer noch ein Ungleichgewicht herrscht, auch wenn Formate wie Ladies Night oder Sisters of Comedy sich diesem angenommen haben. Es muss klar werden, dass Frauen ebenso das Kabarett verkörpern, wie es die Männer tun. Die inhaltliche Qualität der kabarettistischen Arbeit muss immer im Vordergrund stehen und als alleiniges Beurteilungsmerkmal angesehen werden. Aussagen wie die von Rena Schwarz sind erschreckend und sollen Veranstalter:innen und Publikum zukünftig sensibilisieren. Die Gleichberechtigung beginnt bereits bei der Veranstaltungsankündigung.

Wir Frauen werden immer gefragt, wie alt wir sind. Wir werden teilweise mit Aussehen beschrieben. Das wird bei Männern nicht gemacht. (Rena Schwarz)

Wichtig bleibt, denjenigen eine Plattform zu bieten, deren kabarettistische Inhalte wertvoll sind und weiter daran zu arbeiten, dass die Sichtbarkeit von Frauen in der gesamten Kulturszene verbessert wird. Dafür verwies Anny Hartmann auf verschiedene Links, die auf ihrer Homepage zu finden sind. „Die Liste ist länger als jeder Bildschirm anzeigen kann", schrieb sie.

So wenige Frauen können es also schon mal nicht sein. Dass diese weniger sichtbar sind, heißt ja nicht, dass es sie nicht gibt. Es heißt nur, dass es auch in der Kleinkunst die überall vorhandene strukturelle Diskriminierung von Frauen gibt. (Anny Hartmann)

Zur Identifikationsfigur wird man nicht von allein. Die Verantwortlichen hinter den Bühnen müssen an junge Kabarettist:innen glauben und ihnen eine Auftrittsmöglichkeit bieten damit sich etwas ändert.

Helmut Schleich erwartet für zukünftige Generationen einen ausgewogeneren Anteil an weiblichen Kabarettist:innen. Trotzdem ist es wichtig, diese Thematik in den gesellschaftlichen Diskurs zu rücken, denn das Genre ist ein Spiegel der Gesellschaft.

AKTUELLER KABARETTISTISCHER ALLTAG

Der Musikkabarettist Armin Fischer arbeitet parallel an seinem Internetauftritt und plant, sich digital zu verwirklichen. Da bereits lang ersehnte Veranstaltungen erneut verschoben werden müssen, kann er dadurch die Publikumsnähe ein Stück weit aufrechterhalten.

Rena Schwarz testet eine Hybridveranstaltung: Es wird vor Ort eine begrenzte Zuschaueranzahl erlaubt sein und ein Streamingangebot für Zuhause geben. Wie angesprochen sind auch andere Künstler:innen online vertreten und tauschen sich in Livestreams oder Foren aus. Michael Krebs hat daraus direkt ein neues Album entwickelt.

Humor ist eine ganz wichtige Waffe gegen alles. Gegen Resignation, gegen Zynismus, gegen Weltschmerz, gegen Depressionen, gegen düstere Wolken am Horizont des Daseins. (Thomas Reis)

Abschließend führt die Künstlergalerie noch einmal durch die Historie der aufgetretenen Talente in der Kniestedter Kirche.

KünstlergaLerie vor der Kniki.
Die Kniestedter Kirche ... so hat es angefangen ... 1982
1986 - 1994
1994 - 2004
2004 - 2008
2009 - 2018
2019
Ein Artikel von Rolf Czauderna aus der Salzgitter Zeitung vom 06.10.2020 über die Ursprünge des Gebäudes.

ENDE

Unser besonderer Dank gilt allen Künstler:innen, die sich für ein Interview bereit erklärten. Außerdem danken wir Wolfgang Pozzato, Klaus Geisser und Paul Beßler für die vielen Gespräche und das Bildmaterial aus fast 40 Jahren Kleinkunstbühne Salzgitter-Bad e.V.

Die Gesamtübersicht unserer 50 Gesprächspartner:innen.

Bilderquellen in chronologischer Reihenfolge:

  1. Medienzentrum der Stadt Salzgitter
  2. Seitenansicht KNIKI: eigene Aufnahme
  3. Glastafel: eigene Aufnahme
  4. Collage YouTube: siehe Gesamtübersicht aller Befragten
  5. Gästebucheintrag: eigene Aufnahme
  6. Gästebucheintrag: eigene Aufnahme
  7. Gästebucheintrag: eigene Aufnahme
  8. Seitenansicht KNIKI: eigene Aufnahme
  9. Gästebucheintrag: eigene Aufnahme
  10. Innenansicht KNIKI: Klaus Geisser
  11. Banner der KKB: Klaus Geisser
  12. Die Veranstalter: eigene Darstellung/Hintergrund: Unsplash, Thomas M. Evans
  13. Jubiläumsbroschüre Gründer: eigene Aufnahme
  14. Collage der Schautafel (3 Bilder): Klaus Geisser, Homepage KKB
  15. Poster Veranstalter:in: eigene Darstellung
  16. Bunte Hände: Unsplash, Ian Dooley
  17. Jubiläumsbroschüre Toleranz: eigene Aufnahme
  18. Foto Şinasi Dikmen: Die Käs
  19. Eingangstür Logo: eigene Aufnahme
  20. Jubiläumsbroschüre Martin Herrmann: eigene Aufnahme
  21. Besondere Gäste: eigene Darstellung/Hintergrund: Unsplash, Auré Pereira
  22. Gert Fröbe Autogrammkarte: Klaus Geisser
  23. Fotocollage 21 Jahre KKB: Klaus Geisser
  24. Zeitungsartikel Kleinkunstbörse: Klaus Geisser
  25. Collage und Poster Gert Fröbe: eigene Aufnahmen
  26. KNIKI von oben: Klaus Geisser
  27. Dieter Hildebrandt: Christoph Vohler
  28. Collage Fotoalbum Dieter Hildebrandt: eigene Aufnahmen/Klaus Geisser
  29. Collage Fotoalbum Dieter Hildebrandt: eigene Aufnahmen/Klaus Geisser
  30. Collage Ausstellung Dieter Hildebrandt: Klaus Geisser
  31. Hans Scheibner: Klaus Geisser
  32. Plakat Hans Scheibner: Klaus Geisser
  33. Hans Scheibner: Privat
  34. Jubiläumsbroschüre Hans Scheibner: eigene Aufnahme
  35. Gästebucheintrag Hans Scheibner: Klaus Geisser
  36. Das Publikum: eigene Darstellung/Hintergrund: Unsplash, Vitor Fontes
  37. Hartmut Schölch, Bild: Kugellis
  38. KNIKI Dachspitze: eigene Aufnahme
  39. Frauen im Kabarett: Eigene Darstellung/Hintergrund: Unsplash, Molly Blackbird
  40. Foto mit Lilo Pulver: Klaus Geisser
  41. Collage der sechs Kabarettistinnen: siehe Gesamtübersicht
  42. Poster Frauen im Kabarett: eigene Darstellung
  43. KNIKI Eingangstür: eigene Aufnahme
  44. Künstlergalerie: eigene Aufnahme
  45. Künstlergalerie: eigene Aufnahme
  46. Künstlergalerie: eigene Aufnahme
  47. Künstlergalerie: eigene Aufnahme
  48. Künstlergalerie: eigene Aufnahme
  49. Künstlergalerie: eigene Aufnahme
  50. Künstlergalerie: eigene Aufnahme
  51. Künstlergalerie: eigene Aufnahme
  52. Zeitungsartikel Salzgitter Zeitung: Rolf Czauderna
  53. KNIKI im Sonnenschein: Klaus Geisser
  54. Collage aller Befragten: direkt der Collage zu entnehmen