Text: Tanja Bircher/ Fotos: Seraina Boner
Das Wichtigste in Kürze
- Eine Hombrechtiker Homeschoolerin kämpft um die Obhut ihrer Kinder
- Zwei Oberländer Mütter erzählen, wieso sie ihre Kinder im Privatunterricht schulen
- Die Volksschulamtschefin und ein Bildungsexperte sagen, was sie vom Unterricht zu Hause halten
Weil sie ein unkonventionelles Leben führt und ihre Kinder zu Hause unterrichtet, hat die Polizei eine Zürcher Mutter verhaftet. Vorübergehend hat die Kesb sogar ihre Kinder fremdplatziert. Diesen Fall, über den die «Sonntagszeitung» vor wenigen Wochen berichtetet hat, spielt sich seit Juni in ähnlicher Form auch in der Region ab.
Die Mutter will aufgrund des laufenden Verfahrens nur beschränkt Auskunft geben und anonym bleiben. Sie sagt, an einem Mittwoch hätten acht Personen ihr Haus in Hombrechtikon betreten. «Die Behördenvertreter nahmen mir meine Töchter im Alter von acht und fünf Jahren weg.» Die Massnahme habe die zuständige Richterin angeordnet, weil sie ihre Kinder als «sozial und emotional unterentwickelt» einstufe. Weiter schädige sie ihre Kinder durch ihre Erziehung sei völlig unkooperativ mit den Behörden.
Ein Dorn im Auge
Dasselbe Verhalten hat man der Zürcher Mutter vorgeworfen. Und noch eine Parallele besteht zwischen den Fällen: Beide Frauen unterrichten ihre Kinder zu Hause. Die Hombrechtikerin, selbst Gymnasial- und Sekundarlehrerin, sagt, sie habe vom Volksschulamt stets sehr positive Atteste erhalten. Von fehlender Kooperation könne keine Rede sein: «Ich habe genau einen einzigen Termin bei der Kesb verpasst, von mittlerweile wohl über 25.»
Eine Ursache für den Kindesentzug liege für sie auf der Hand: Der Richterin sei ihr Anderssein ein Dorn im Auge. «Und Anderssein beginnt schon mit Homeschooling. Wer jemandem erzählt, dass er seine Kinder zu Hause unterrichtet, gilt sofort als suspekt.»
«Auf Homeschooler reagiert das Umfeld irritiert und ängstlich.» - Maren Zürcher, Wetziker Homeschoolerin
Dies bestätigt auch die Wetzikerin Maren Zürcher. Sie hat fünf Kinder im Alter zwischen vier und 17 Jahren und bezeichnet sich als «alternativ angehaucht». Obwohl sie nur eine ihrer Töchter während zwei Jahren zu Hause unterrichten liess, sagt sie: «Auf Homeschooler reagiert das Umfeld irritiert und ängstlich. Deswegen sucht man sich schnell Kreise mit Gleichgesinnten.»
Die Hombrechtiker Mutter kenne sie entfernt. «Eine ganz normale Frau mit anständigen, aufgeweckten Kindern.» Ihr Fall, den Zürcher als «Bestrafung fürs Ausscheren aus der Norm» bezeichnet, sei unter den Homeschoolern bekannt und bewege alle, sie aber ganz besonders. Als sechsjährige wurde sie eines Tages von den Behörden geholt und einige Monate in einem Kinderheim untergebracht – gegen den Willen ihrer Mutter: «Ihr Ehepartner war gewalttätig und sie erhielt keinerlei Unterstützung.»
Damals habe sie sich geschworen, «normal zu heiraten – und das habe ich getan». Dass sie nun ein im klassischen Sinne intaktes Familienleben führe, sei wohl ein wichtiger Grund, weshalb sie im Gegensatz zu den beiden Frauen aus Zürich und Hombrechtikon keinen Ärger mit der Kesb habe. Erstere ist alleinerziehend, letztere lebt in Scheidung.
«Zunächst habe ich alles daran gesetzt, dass unsere Kinder in der Schule gut integriert sind.» Die Teilnahme an jedem Elternabend, Schulaktivitäten und auch das Engagement im Elternrat seien selbstverständlich. Trotzdem sei ihre älteste Tochter in der Schule angeeckt. «Man sagte uns, sie könne sich nur schwer von zu Hause lösen, habe eine zu enge Bindung zur Familie.» Dennoch habe sie die gesamte Schulzeit in der öffentlichen Schule verbracht. «Und sie war häufig unglücklich und immer darauf bedacht, dazuzugehören.»
Der Mittelweg
Bei ihrer mittleren Tochter habe sich die Situation zugespitzt. Laut Zürcher verweigerte diese den Unterricht in der Unterstufe. Daraufhin folgte ein Klassen- und Schulhauswechsel. Im Lauf der Mittelstufe habe die Tochter aber immer häufiger über starke Kopfschmerzen geklagt und extrem unter den Streitereien der anderen Schüler gelitten. «Einmal schrieb sie in mein Dankbarkeitstagebuch, wie froh sie sei, dass sich zwei Mädchen in ihrer Klasse wieder versöhnt hatten.»
Weder Ergotherapie, Kinesiologie, eine Brille noch Arztbesuche brachten eine langfristige Besserung. «Meine Tochter hätte sich schwarz angemalt, um in der Klasse angenommen zu sein – doch es klappte nicht.» Wegen der Belastung für die Kinder kam ein Umzug nicht in Frage. Und so entschieden sich die Zürchers für Homeschooling. «Wir nahmen unsere Tochter für die 6. Klasse aus der öffentlichen Schule – mit dem Ziel, sie ab der ersten Sek wieder regulär zum Unterricht zu schicken.»
Doch das Homeschooling habe rasch Wirkung gezeigt: «Die Kopfschmerzen verbesserten sich und meine Tochter wurde wieder lebhaft und interessiert.» Deswegen organisierte Zürcher eine Lehrerin, die ihre Tochter auch auf der ersten Sekstufe im Privatunterricht schulte. Ab August werde das Mädchen nun auf eigenen Wunsch die christliche Privatschule Salzh in Wetzikon besuchen – «ein Mittelweg», sagt Zürcher. «Nach der Erfahrung mit der ältesten Tochter, wollten wir die jüngere nicht direkt wieder ins Haifischbecken schmeissen.» Doch diese fühle sich mittlerweile stark genug, um wieder in einem Klassenverband zu lernen und sich so auf eine Gymnasial- oder Berufsschule vorzubereiten.
«Oh Gott, die armen Kinder.» - Jeanine Keller, Bubiker Homeschoolerin
Sie sei keine Hardcore-Homeschoolerin, so die Wetzikerin weiter. «Ich möchte einfach, dass meine Kinder nicht leiden müssen.» Vielleicht sei ihr Nachwuchs besonders sensibel, dass ihnen die Schule so sehr zusetze. Auch ihr Sohn leide unter den Streitereien anderer Kinder. Sie wolle die Volksschule auf keinen Fall verteufeln. «Aber wenn ich es mir leisten könnte, würde ich alle meine Kinder zu Hause unterrichten.» Die Kosten für die Lehrer und das fehlende Einkommen eines Elternteils erlaube dies leider nicht.
Ähnliche Erfahrungen wie Zürcher hat auch die Bubikerin Jeanine Keller gemacht. Sie gilt als Homeschooling-Expertin in der Region. «Anfangs war ich zwar noch skeptisch.» Als ihre Schwägerin entschieden habe, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten, habe sie gedacht: «Oh Gott, die armen Kinder. Ich muss eingreifen, meinen Gottibub beschützen.» Doch sei ihr bewusst geworden, wie unfair es sei, solche Schlüsse ohne jegliches Wissen über Homeschooling zu ziehen.
«Sie hatte Albträume, war abgelöscht, ohne ihre natürliche Neugierde und Freude.» Jeanine Keller, Bubiker Homeschoolerin
Also habe sie sich mit der Materie auseinandergesetzt; Studien, Bücher und Fachartikel gelesen. Irgendwann sei sie besser informiert gewesen als ihre Schwägerin, sagt Keller. «Und ich war begeistert.» Ähnlich wie sie begegneten Behörden und das Umfeld von Homeschoolern dieser Schulform und Sozialisation oftmals zunächst mit Vorurteilen.
Der Boom
Ihre eigenen Kinder zu Hause zu unterrichten wurde für die Bubikerin aber erst aktuell, als sich der Zustand ihrer Tochter im Kindergarten Wetzikon verschlechterte. «Sie hatte Albträume, war abgelöscht, ohne ihre natürliche Neugierde und Freude.» Zunächst habe sie ihre Tochter vorübergehend zu Hause schulen wollen. Aber genau wie bei Zürcher sei auch ihr Kind in dieser Überbrückungsphase plötzlich wieder aufgeblüht. «Sie war ihr altes Selbst und ich merkte, wie gut es meiner Familie ging.» Mit der Zeit habe sie immer mehr Homeschooler kennengelernt und realisiert, wie gut diese Lösung für viele Kinder sei.
Mit dieser Erkenntnis sei sie nicht alleine, sagt Keller: «Homeschooling boomt im Zürcher Oberland.» Da es keine Beratungsstelle auf dem Gebiet gibt, werden die Interessierten aus der Region jeweils an sie verwiesen. «Mein Telefon klingelt fast täglich. Es gibt so viele Menschen, die mit unserem Schulsystem unzufrieden sind, weil ihre Kinder darunter leiden.» Keller leitet auch das monatliche Zürcher-Oberländer-Homeschooling-Treffen. «Dort steigt die Mitgliederzahl ebenfalls rasant.»
Für die Aufsicht über die Privatschulen und den Privatunterricht ist das kantonale Volksschulamt zuständig. Sektionsleiter ist der Walder Martin Kull, er darf aufgrund von Regelungen innerhalb der Bildungsdirektion aber keine Auskunft erteilen. Volksschulamtschefin Marion Völger bestätigt indes eine Zunahme von Homeschooling. «Im Zürcher Oberland werden aktuell rund 80 Schülerinnen und Schüler privat unterrichtet. Im ganzen Kanton sind es rund 240.» Zum Vergleich: Im Schuljahr 2008/09 wurden kantonal erst 50 Kinder zu Hause geschult – somit hat sich die Zahl in den vergangenen zehn Jahren fast verfünffacht.
Für Jeanine Keller ist der Grund für die Zunahme klar: «Die Eltern sind mutiger geworden, sie wollen selbst die Verantwortung für die Bildung und das Wohl ihrer Kinder übernehmen.» Das Schweizer Schulsystem sei ein zu grosser und langsamer Apparat. Die Lehrer könnten nicht genug auf die Bedürfnisse der einzelnen Schüler eingehen.
«Das war auch bei meiner Tochter das Problem.» Sie habe sich nach einer Bezugsperson gesehnt, um eine Bindung aufzubauen. Doch statt diesem Wunsch entgegen zu kommen, sei die Lehrerin nur noch distanzierter geworden. «Meine Tochter hat alles versucht, um die Zuneigung dieser Frau zu gewinnen – doch sie scheiterte.» Am Ende habe man ihr eine Spezialtherapie empfohlen, damit sie keine Fragen mehr stelle, sagt Keller. «An diesem Tag nahm ich sie aus dem Kindergarten. Ich meine, geht’s eigentlich noch?»
Die sozialen Kompetenzen
Völger sagt, für Lehrpersonen sei die Thematik der Lehr- und Lernbeziehungen zentral und auch die Motivation, diesen Beruf auszuüben. Der Privatunterricht sei aber sicherlich eine der am stärksten individualisierten Unterrichtsformen, mit allen Vor- und Nachteilen. Grundsätzlich sei festzustellen, dass die grosse Mehrheit der Schüler im Privatunterricht gute schulische Leistungen erbringe. Eltern, die ihre Kinder privat unterrichteten, seien in der Regel stark an der Bildung ihrer Kinder interessiert.
Die Volksschule habe aber gerade im Kanton Zürich grosse gesellschaftliche Aufgaben und verfüge seit Generationen über eine starke Integrationswirkung für die ganze Bevölkerung. «Schüler, die die Volksschule nicht besuchen, verpassen die Möglichkeit, in einer nicht selbst gewählten Umgebung soziale Kompetenzen zu erwerben.»
«Die Strukturen sind ihnen zu streng oder zu wenig streng, zu leistungsorientiert oder zu wenig leistungsorientiert.» - Marion Völger, Zürcher Volksschulamtchefin
Dies bestreitet die Bubiker Homeschoolerin Keller. Studien hätten gezeigt, dass vor allem der Umgang mit Erwachsenen und Kindern unterschiedlichen Alters diesbezüglich viel wertvoller sei (siehe Interview unten). Davon profitierten ihre Töchter an den regelmässigen Treffen mit anderen Homeschoolern, wo bis zu 50 Leute anwesend seien. «Kinder zwischen 1 und 15 Jahren spielen dort miteinander – in einem Frieden», sagt Keller. An Geburtstagspartys, wenn jeweils auch Volksschulkinder dabei seien, gebe es hingegen häufig Konflikte.
Beim Homeschooling spielten meist gesellschaftliche Überlegungen eine Rolle, sagt Völger vom Volksschulamt. So gäben Eltern beispielsweise an, die Strukturen der Volksschule passten nicht. «Sie sind ihnen zu streng oder zu wenig streng, zu leistungsorientiert oder zu wenig leistungsorientiert.» Weiter werde als Grund auch der Stundenplan genannt, der mit dem Trainingsplan nicht übereinstimme. Religiöse Gründe oder Vorbehalte gegenüber liberaler Werte des Umfeld spielten ebenfalls eine Rolle.
«Gewisse Eltern wollen auch einfach diese kurze, schöne Zeit mit ihren Kindern voll ausleben oder sagen, der geschützte, kleine Rahmen sei für sie sehr wertvoll.» Völger sagt, Privatunterricht sei im Einzelfall eine sinnvolle Ergänzung zur öffentlichen Schule – er müsse aber jederzeit den Anschluss an die Volksschule gewährleisten.
Im Kanton Zürich überprüft das Volksschulamt jährlich die Qualität des Privatunterrichts. Werden die Lernziele nicht erreicht, wird das Homeschooling untersagt. Eltern dürfen ihre Kinder bis zu einem Jahr selbst unterrichten. Dabei müssen sie sich stets an den geltenden Lehrplan halten. Die offiziellen Schulmittel können sie bei der Schulgemeinde beziehen. Obwohl das Kind nicht mehr am Unterricht teilnimmt, bleibt es offiziell angemeldet, der Staat übernimmt auch weiterhin die Kosten. Pro Lerngruppe dürfen nicht mehr als fünf Kinder unterrichtet werden. Ab einem Jahr muss eine anerkannte Lehrperson für den Unterricht hinzugezogen werden. Bei weniger als drei Kindern muss sie die Hälfte der Hauptstunden übernehmen, bei mehr Kindern sind es zwei Drittel.
Jeanine Kellers Mann ist Sekundarlehrer, er führt die örtliche private Sportschule Bubikon. Auch er sei zu Beginn skeptisch gewesen. Doch er habe sich schliesslich von den Vorteilen des Homeschoolings überzeugen lassen. Nun unterrichtet er zusammen mit seiner Frau die beiden Töchter im Alter von fünf und neun Jahren. «Eine bessere Entscheidung hätten wir nicht treffen können.» Für ihre Kinder sei diese Unterrichtsform klar die geeignetere. Sie erhalte auch enorm viele positive Rückmeldungen auf ihre Kinder. Manchmal lobten völlig Fremde, wie «wissbegierig, aufgestellt und anständig» ihre Töchter seien.
Eine neutrale Sicht hat Gabriela Flüeler, Leiterin des Museums Wetzikon. In ihren Workshops erlebt sie sowohl Volksschulkinder als auch solche, die zu Hause unterrichtet werden. Sie habe seit rund drei Jahren mit Homeschool-Kindern zu tun, sagt sie. «Mir ist aufgefallen, dass diese viel projektbezogener sind.» Besonders beeindruckt sei sie jeweils von ihrer Spontaneität und Kreativität.
Während die Schulkinder brav eine Aufgabe erledigten und dann nach der nächsten fragten, entwickelten die Homeschool-Kinder eine spielerischere Eigendynamik und versuchten ihre eigenen Ideen umzusetzen, sagt Flüeler. Sie seien zudem bis zum Ende der Erläuterungen voll dabei. «Herkömmliche Schüler hingegen rücken irgendwann vom Thema ab.» Die Fähigkeit, sich lange auf etwas einzulassen, sei heutzutage selten und ein gutes Zeichen; «meiner Meinung nach ein klares Indiz, dass Homeschooling eine legitime Alternative zum normalen Unterricht ist.»
Die Bubiker Homeschoolerin Keller räumt derweil selbst ein, dass nicht jedes Kind für Homeschooling geeignet sei. Die Volksschule habe sicher ihre Berechtigung. Ob sie und ihr Mann ihre Kinder auch auf Sekundar- oder Gymnasialstufe zu Hause unterrichten werden, weiss sie noch nicht. «Das kommt auf die Bedürfnisse, Interessen, Talente und den Entwicklungsstand meiner Töchter an – wir entscheiden das dann gemeinsam.» Sie wünsche sich jetzt primär, dass es im Homeschooling zu einer Aufklärung in der Gesellschaft und bei den Behörden komme – damit sich Fälle wie jene in Zürich und Hombrechtikon nicht wiederholten.
«Ich halte das institutionalisierte Lernen für sehr erfolgreich»
Herr Rüttimann*, was halten sie als Schulleiter, Dozent und Lehrer von Homeschooling? Dieter Rüttimann: Generell bin ich eher skeptisch. Ich kann mir aber drei Situationen vorstellen, wo Homeschooling eine adäquate Lösung sein könnte. Erstens wenn eine Familie mit ihren Kindern eine Weltreise unternimmt und sie unterwegs schult. Die Eltern können die wunderschönen Erfahrungen gleich in den Unterrichten einbauen. Das zweite Szenario ist ein unangenehmeres: wenn die Beziehung zwischen dem Lehrer und dem Schüler massiv beeinträchtigt ist und es keine sinnvolle Alternativlösung wie einen Klassenwechsel mehr gibt. Insbesondere wenn auch die Beziehung zu Eltern zerrüttet ist, kann sich als Überbrückungslösung eine vorübergehende Verlegung des Unterrichts nach Hause anbieten.
Was ist die dritte Situation? Eine seltene und privilegierte: Wenn die Eltern über einen sehr hohen Bildungsabschluss verfügen und die finanziellen Möglichkeiten haben, dass einer der beiden zu Hause bleibt. Diese Person muss zudem eine pädagogische Begabung haben. Aber ich bleibe dabei: ich bin eher skeptisch.
Wieso? Ich bin der Überzeugung, dass die Schule neben ihrer Bildungsaufgabe auch den sozialen Umgang mit den Kindern fördert. Sie müssen in den unterschiedlichsten Situationen kooperieren. Ich halte es zudem für einen Gewinn, wenn Kinder mit Gleichaltrigen etwas erleben.
Laut einer Homeschooling-Mutter aus dem Zürcher Oberland, die als Expertin gilt, stimmt dies nicht. Sie verweist auf den kanadischen klinischen Psychologen Gordon Neufeld. Er spricht in seinem Buch «Unsere Kinder brauchen uns!» von der sogenannten Gleichaltrigenorientierung, die den familiären Zusammenhalt zerstöre, die Entwicklung zu wahrer Eigenständigkeit blockiere, die Atmosphäre in den Schulen vergifte und eine aggressive und sexualisierte Jugendkultur fördere. Die Studie, die dies nachweist, möchte ich ja sehen. Ich glaube aber auch, dass der Umgang mit einer durchmischten Altersgruppe für Kinder wichtig ist. Die Schule hat aber eine andere Dynamik als eine Familie. Im Unterricht müssen sich Kinder auch einmal zu etwas überwinden, ihre Komfortzone verlassen: in einem Theater mitspielen oder ein Lied vorsingen. Auch gemeinsam ein Problem zu lösen, sich auszutauschen; das birgt doch einen unglaublichen Reichtum an sozialen Erfahrungen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine kleine Familie das bieten kann und ich würde es bedauern, wenn ein Kind darauf verzichten müsste. Deswegen bleibt das Homeschooling für mich ein Notfallszenario.
Im Zürcher Oberland treffen sich bis zu 50 Homeschooler regelmässig zu Treffen und tauschen sich aus. Laut der erwähnten Mutter spielen ihre Töchter dort mit Kindern zwischen 1 und 15 Jahren, wo sie ihre sozialen Kompetenzen durchaus weiterentwickeln könnten. Wird Homeschooling eine Parallelinstitution, wo hochspezialisierte Fachleute anwesend sind, wo mehrere Schüler zusammen lernen, habe ich nichts dagegen. Ich störe mich an den Kleinfamilien, die ihre Kinder abschotten. Gerade im Zürcher Oberland gibt es Eltern, die ihren Nachwuchs aus religiösen Gründen nicht zur Schule schicken oder am Schwimmunterricht teilnehmen lassen. Das halte ich für falsch. Es ist wichtig, dass eine staatliche Institution dafür sorgt, dass alle Kinder ein Recht auf eine ausgewogene Bildung haben.
Ein weiterer Kritikpunkt am Schulsystem lautet, dass die Lehrer zu wenig auf die einzelnen Bedürfnisse der Schüler eingehen können. Das ist meiner Meinung nach Schnee von gestern. In den letzten 40 Jahren hat sich das Schulsystem extrem verbessert, es ist eine Durchlässigkeit und Individualisierung entstanden, Gruppenaktivitäten werden gefördert, gleichzeitig setzt man auf soziales Lernen. Ich halte das institutionalisierte Lernen für sehr erfolgreich.
Credits:
Seraina Boner