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Karfreitagsgefecht - als aus Brunnenbauen Krieg wurde Vor Zehn Jahren fielen drei soldaten im gefecht in Afghanistan. eine zäsur in der einsatzgeschichte der bundeswehr

Die Falle schnappt zu

. . . als vier Fallschirmjäger in einem Weizenfeld nahe des kleinen Ortes Isa Khel im Norden Afghanistans eine abgestürzte Drohne suchen. Ein von langer Hand geplanter Hinterhalt radikal-islamischer Taliban macht aus dem Karfreitag des Jahres 2010 einen der schwärzesten Tage in der Geschichte der Bundeswehr. Stunden später haben drei deutsche Soldaten ihr Leben verloren: Hauptgefreiter Martin Augustyniak (28), Stabsgefreiter Robert Hartert (25) und Hauptfeldwebel Nils Bruns (35). Acht Soldaten sind teilweise schwer verletzt. Das Karfreitagsgefecht wird für immer untrennbar mit dem ISAF-Einsatz in Afghanistan verbunden sein. (Foto: picture alliance/dpa)

Das Gefecht markiert eine Zäsur in der in der deutschen Militärgeschichte: Erstmals seit Bestehen der Bundeswehr waren deutsche Soldaten in längere Kampfhandlungen verwickelt. In der Wahrnehmung des Einsatzes am Hindukusch löst dieser Tag ein Umdenken aus: Spätestens am 2. April 2010 wird klar, dass es im 5.000 Kilometer entfernten Afghanistan nicht um den Bau von Brunnen oder Schulen geht, sondern um Krieg, um Kampf auf Leben und Tod.

Akteure und Beteiligte werden die Stunden und was danach folgte nie vergessen. Mit dem DBwV teilen sie ihre Erinnerungen, Erfahrungen und was das einschneidende Erlebnis für sie bedeutet - bis heute.

Foto: imago/EST&OST

Der FDP-Politiker Dirk Niebel war damals Entwicklungsminister und auf Dienstreise in Afghanistan, als sich das Karfreitagsgefecht ereignete. Ihm ist es zu verdanken, dass die Särge mit den Gefallenen so schnell nach Deutschland gebracht werden konnten.

Die Ereignisse rund um das Gefecht erlebte Militärpfarrer Bernd Schaller im Lager mit. Der Seelsorger, der schon vor seiner Zeit beim Militär Erfahrungen im Rettungsdienst sammelte, war zum ersten Mal im Auslandseinsatz - und auch erst sehr kurz. Die gelebte Kameradschaft, von der ihm zuvor berichtet worden war, begeisterte ihn. Dann erlebte er, wie die Soldaten zur Schicksalsgemeinschaft wurden - und die Kameradschaft nationenübergreifend noch bedeutungsvoller wurde.

Der Tag begann im Lager wie jeder andere Freitag auch.

Im Camp kommen die Informationen über den Feindkontakt nach und nach an. Währenddessen tobt außerhalb der schützenden Mauern das Gefecht.

Dramatische Stunden waren es an diesem Tag auch für die US-Soldaten mit ihren „Black Hawk“-Hubschraubern. Als Chef des Teams war Chief Warrant Officer 3 Jason LaCrosse (Foto) an Bord eines MedEvac dabei. Er und sein Team bargen zehn der verbündeten deutschen Soldaten. Eine schwierige Mission für alle Beteiligten: Es gab zunächst keinen Kontakt zu den Bodentruppen. Als die Helikopter sich erstmals der Landezone näherten, "geriet unser Helikopter unter heftigen feindlichen Beschuss von Maschinengewehren, Raketenwerfern und Mörsern".

Endlich gab es Kontakt zu den deutschen Soldaten, welche wegen der heißen Landezone die Verwundeten an einen anderen Ort bringen wollten. LaCrosse entgegnete, "dass ich nicht auf die Verlegung der Verwundeten warten wolle und dass die Landezone für mich kalt genug sei".

Die Aufständischen verlagerten ihr Feuer jedoch auf die Hilfe aus der Luft. "Zwei Raketen aus Raketenwerfern kreuzten sich direkt unter unserem Hubschrauber." Die Deutschen eröffneten das Gegenfeuer, einer der Helikopter setzte Bordgeschütze ein, während er über der Landezone kreiste. Mit Erfolg. Der erste schwer Verwundete Soldat konnte nach Kundus gebracht werden.

Foto: Privat/Jason LaCrosse

Schnell ging es für die Crew zurück, um weitere Verwundete zu holen. Währenddessen explodierte andernorts ein Sprengsatz, vier deutsche Soldaten wurden verletzt. Das Team um LaCrosse bekam Unterstützung: Drei Hubschrauber hoben gemeinsam ab "und wir flogen zurück in die Schlacht". Der Feind setzte erneut einen Raketenwerfer ein. Das Geschoss explodierte unter dem Heck eines Helikopters. Das Heck wurde dadurch hoch in die Luft gedrückt. Ein anderer Hubschrauber sorgte für Unterdrückungsfeuer. Währenddessen machten sich die Verwundeten auf den Weg zu einer alternativen Landezone. LaCrosse und sein Team nutzten die Zeit, um in Kundus die Hubschraubertanks zu füllen. Am Boden waren die Schäden an den Fluggeräten durch den Beschuss zu erkennen. Flugtauglich waren die Maschinen aber noch. Zwei MedEvac-Hubschrauber konnten kurz darauf vier schwer verwundete Deutsche bergen. Dann gab es eine zweite Explosion - weitere vier deutsche Soldaten wurden schwer verletzt. "Ohne zu zögern starteten wir wieder." Am Ende des Tages sind drei deutsche Soldaten tot.

Als die Nachricht über die Gefallenen und Verwundeten das Camp erreicht, steht Schaller den Soldaten zur Seite. Für diese extreme Situation gibt es keinen Leitfaden aus dem Lehrbuch, er passt sich der Dynamik an.

Der Schock saß tief. Auch die Kameraden anderer Nationen nahmen Anteil an dem Verlust der Deutschen. Der internationale Zusammenhalt zeigte sich auch beim Trauerzug zwei Tage nach dem Gefecht. Soldaten aller vertretenen Nationen versammelten sich für das letzte Geleit der gefallenen Kameraden. Der Festtag Ostersonntag rückte vollkommen in den Hintergrund, erinnert sich Schaller an die bewegenden Ereignisse - und wie das Gefecht seinen Blick auf das Osterfest beeinflusst hat.

Naef Adebahr ist einer der schwer Verwundeten. Er erlitt schwere Schussverletzungen am rechten Ober- und Unterschenkel sowie an der linken Ferse. Aber er überlebte. An seinem Handgelenk trägt er eine Erinnerung an seine gefallenen Kameraden des Fallschirmjäger-Bataillons 373 Seedorf: die Namen Nils, Robert und Martin sind darauf eingraviert. Ein Kamerad ließ die Armreifen zum Gedenken anfertigen. "Das Armband ist mir deutlich wichtiger als irgendeine Medaille oder Auszeichnung", betont er. Sonst trage er es hauptsächlich zum Jahrestag. In diesem Jahr, in dem sich das Gefecht zum zehnten Mal jährt, täglich, wie der 36-Jährige berichtet.

"Es überkommt mich schon der eine oder andere Gedanke an damals, an die Gefechte und damit verbunden eine gewisse Traurigkeit, wenn ich an die gefallenen und verwundeten Kameraden denke", sagt Adebahr. Alljährlich sei er kurz vor dem 2. April einfach nur traurig. Aber er sei auch mit sich und der Situation im Reinen. Beim Verarbeiten des Erlebten habe ihm vor allem der Rückhalt seiner Familie und Kameraden geholfen. Von einer posttraumatischen Belastungsstörung sei er verschont geblieben. "Es war wirklich auch eines meiner Heilmittel, dass ich mich sehr viel mit meinen Vertrauten ausgetauscht und nicht versucht habe, alles nur mit mir selbst auszumachen." Eine große Rolle spielte auch der Sport - und tut es heute noch. "Ohne ihn wäre ich jetzt nicht hier. Mein primäres Ziel war, wieder gesund zu werden, für mich, für die Familie." Bewegung sei zudem oft gut, um mal loszulassen und den Kopf frei zu bekommen, betont er. Seit 2012 ist Adebahr an der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf, erst als Organisationsfeldwebel, seit 2017 als Truppenpsychologe.

In den zehn Jahren seit dem Karfreitagsgefecht habe sich viel in seinem Leben verändert. "Das meiste hat sich zum Positiven gewandelt." Seine Einstellung: Das Leben, soweit es geht, auszukosten und zu genießen. Seine Entscheidung, Soldat geworden zu sein, bereut er nicht. Jeder Zeit würde er sich wieder so entscheiden, insbesondere für die Fallschirmjäger. Dort gebe es "absolute Aufopferungsbereitschaft, eben echte Kameradschaft".

Die besondere Kameradschaft insbesondere im Auslandseinsatz hat auch Militärpfarrer Schaller beeindruckt. "Jeder Einsatz verändert einen", berichtet Schaller, der nach 2010 noch einmal in Afghanistan war. Es gebe auch viele schöne Erinnerungen und Andenken an die Zeit - mit der aber auch immer das Karfreitagsgefecht verknüpft sein wird. Bis heute sei er der Militärpfarrer mit den meisten Toten in seinem Kontingent, berichtet Schaller mit andächtigem Blick. Nur zwei Wochen nach dem 2. April 2010 gab es ein weiteres Gefecht - und weitere vier gefallene deutsche Soldaten. Trotz der Erfahrungen aus dem Rettungsdienst, könne man sich nie auf solche Situation vorbereiten. Sein Rat an alle Seelsorger, die eine ähnliche Situation erleben:

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