FortSetzung – Pomona Zipser in der galerie 13
Die Zwinge ist Teil einer Werkbank, sie besteht aus zwei Zungen, die, durch eine Drehschraube verbunden, zu einem Griff werden. Mit ihr kann man ein Holz festsetzen, um es durch Sägen und Schleifen zu bearbeiten. Die grobe Form ist bereits gegeben, jetzt geht es um Feinarbeit, Profilierung und Glättung. Der Morgenstern ist eine Waffe aus der Zeit des Mittelalters, aus Holz gefertigt und rundum mit Zacken versehen, dient er dem verletzenden Schlag. Sein gespitzter Stern sitzt auf einem Stab, ebenfalls aus Holz oder aus Metall, manchmal hängt er an einer Eisenkette, so dass man zum Gebrauch mit Wucht ausholen kann. Es heißt, er sei eine Waffe der Bauern gewesen.
„Zwinge zu Morgenstern“ heißt die Skulptur, die auf der Einladung zu dieser Ausstellung abgebildet ist. Man erkennt die beiden Gegenstände nicht gleich, aber da der Titel es sagt, eben doch: Die beiden Zungen der Zwinge hängen vom oberen Balken herab, und der nur zweizackige Morgenstern stößt von rechts ins Bild. Beide, Zwinge und Morgenstern, erscheinen nur als Relikte ihrer ursprünglichen Gestalt, sie sind Teile eines eigenwillig anmutenden Objektes. Es ist kantig und gelenkig, ein wenig fragil vielleicht, und greift nicht in den Raum aus, sondern schließt sich nach Innen ab, so dass in der Mitte ein Hof entsteht. Bewegung ist stillgestellt.
Das gibt Stabilität und Ruhe einerseits, andererseits wird die leere Mitte zu einem Spielfeld. Hier treten Zwinge und Morgenstern einander entgegen und gewinnen dabei etwas von ihrem ursprünglichen Disziplinierungspotential wieder. Kräfte bauen sich auf: die eine massiv, dumpf mit umso nachhaltigerem Druck wirkend, die andere dünn und spitz auf schnelle pointierte Wirkung bedacht. Berühren tun sie sich nicht, dennoch sind Reibung und Spannung nicht wegzudenken, es geht um ein zu-einander Stehen, auch das sagt der Titel. Was es auszuhandeln gibt, ist eine ungefragte Nähe, diese muss gestaltet und ausgetragen werden, ihr muss von beiden Seiten standgehalten sein. Anderes ist nicht möglich, denn Zwinge und Morgenstern teilen den gemeinsamen Rahmen.
„Freundeskreis“ ist keine Skulptur, sondern ein Siebdruck. Das gestalterische Konzept der geschlossenen im Inneren offenen Form findet hier Wiederholung, bietet aber eine andere Lesart an: zwar geht es auch hier um Kräftemessen und Standortbestimmung, aber doch ist der Ton des Ganzen weniger existenziell und streng. Es gibt in diesem „Kreis“ mehr Raum für Distanz, manchmal doppelten Boden, was durchaus zweideutig bleibt. Die Bewegungen im Ganzen sind leichter, fast schwerelos manchmal und bei aller Fragilität klingt Spielerisches an, auch Witz und Gelöstheit. Die Rahmenstruktur hält nach Innen Rundungen und Rückzugsräume bereit, nach Außen demonstriert sie Geschlossenheit und Wehrhaftigkeit. Es ist, als blicke man auf den Grundriss eines Schlosses, einer Burg oder einen alten Stadtplan.
Pomona Zipser entwirft nicht nur in diesen beiden Arbeiten pointierte Metaphern menschlicher Beziehungen, im Kleinen wie im Großen, im Privaten und Gesellschaftlichen. Stets sucht und handelt sie Gleichgewichte aus. Wie sehr das mit Schmerzen verbunden sein könnte oder einfach nur Freude bereiten kann, ist von Arbeit zu Arbeit verschieden. In jedem Fall wird dabei nicht „festgestellt“ (im wörtlichen Sinne), die Kräfte vibrieren andauernd, ständig „ist eine Art Kommen und Gehen im Gange“ (O. Pastior).
Um dafür tragfähige Formen zu finden bedarf es einer Methode. Für Pomona Zipser ist es die Collage, also das Zusammenführen von Dingen (auch Fragmenten), wie es im Rahmen ihrer eigentlichen Bestimmung nicht vorhergesehen war. Dabei ist nicht so sehr die Zweckentfremdung gesucht, das Interesse ist anderes gelagert. Die Künstlerin formuliert es etwa so: „Es gibt doch, wenn man eine Idee hat, nichts Langweiligeres, als in den Laden zu gehen, in den Regalen zu suchen und sich zu kaufen, was man braucht. Anstatt schnell ins Atelier zu laufen und mit der Arbeit zu beginnen.“ Das klingt impulsiv, ist in diesem Fall aber auch sehr pragmatisch und setzt das Vorhandensein eines Fundus voraus. Improvisation, eigentlich ein aus der Not geborenes Handlungsprinzip, wird in diesem Werk absichtsvoll und permanent geübt.
Die Skulpturen entstehen aus Fundhölzern, aussortierten Möbeln, Fensterrahmen oder Astwerk, von wo auch immer mitgebracht. Die Materialien für die große Gruppe der sogenannten „Papierarbeiten“ sind nicht selten Überbleibsel anderer Arbeiten mit oder auf Papier, wie beispielsweise Reste von Scherenschnitten oder Teile verworfener Zeichnungen. Mit dem Prinzip der Collage und der Improvisation ist insofern auch dasjenige des Recycelns verbunden. Die Kompromisslosigkeit, mit der alle drei zur Anwendung gebracht werden, ist allerdings weniger eine selbstauferlegte Disziplin, vielmehr rührt sie aus einer früh erfahrenen, wenige Handlungsräume anbietenden Lebenswelt, wie sie die kommunistischen Gesellschaften diktierten.
Nach einer Kindheit in Hermannstadt/Sibiu und Ploieşti in Rumänien und dem Abitur in München hat Pomona Zipser – allen Diktaten sich entziehend – freie Kunst in Berlin studiert. Als Meisterschülerin von Lothar Fischer hat sie eine Karriere als Bildhauerin begonnen. Wie sehr sie dabei nicht aus der Masse, sondern von der Zeichnung her und aus der Linie heraus denkt, ist nicht zu übersehen. So stehen neben ihren komplexen Skulpturen allerfeinste Pinsel- und Federtuschen, die in leichten Linien kleine Geschichten und Ereignisse erzählen, oder besser: Situationen zeigen. Denn immer sind es Augenblicke eines dynamischen Prozesses, der ausgespielte Kräfte sichtbar macht. Das führt zu unerwartetem Erstaunen, kann gar ein „Ach, so ist das!“ nach sich ziehen und richtig Freude machen. Die FortSetzung liegt dann auf beiden Seiten und im steten Neu-sehen, Neu-denken und Neu-anfassen der Dinge.
Heinke Fabritius, 5. März 2021
Dr. Heinke Fabritius ist Kulturreferentin für Siebenbürgen, Bessarabien, Bukowina, Dobrudscha, Maramuresch, Moldau und Walachei am Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim am Neckar.
Das Kulturreferat für Siebenbürgen finden Sie unter:
https://www.siebenbuergisches-museum.de/de/kulturreferat/aktuelles/
Die Ausstellung ist vom 6. März bis 17. April zu den Öffnungszeiten der Galerie zu besuchen. Selbstverständlich unter Berücksichtigung der Hygienevorschriften aus Anlass der COVID-19 Pandemie.
Sollten Sie den Wunsch haben, einen Einzeltermin außerhalb der Öffnungszeiten zu erhalten, bitten wir um telefonische Anmeldung.
galerie 13 - fritz dettenhofer