Eine Dokumentation von Josefina Trittel und Martin Thiele
Zwei Autostunden entfernt von Mailand in den Bergen des Piemont liegt auf knapp ein tausend Metern Höhe die Gemeinde Rimella. In dieser Gegend Italiens finden sich viele kleine Bergdörfer, doch in Rimella gibt es Besonderes zu entdecken. Die Geschichte des Bergdorfes reicht bis ins 12. Jahrhundert zurück: eine kleine Gruppe deutscher Hirt:innen zog in einer Wärmeperiode aus der heutigen Schweiz über die Alpen, da die wirtschaftlichen, politischen und religiösen Veränderungen in Europa sie zur Umsiedlung drängten. Die Gemeinde entwickelte sich in der noch heute erkennbaren Form von Streusiedlungen auf den umliegenden Almen und entlang der Wasseradern. Der Alltag der Menschen in Rimella bedeutete über die Jahrhunderte hinweg aufreibende Arbeit an den steilen Berghängen. Durch Land-, Forst- und Hirtenwirtschaft konnte mit viel Fleiß und Geschick gerade so genug Ertrag zum Überleben gewonnen werden. Die wenigen verbliebenen Bewohner:innen Rimellas erinnern sich an Traditionen und ursprüngliche Lebensweisen.
Nando
"Die Veränderungen lassen dich nachdenklich werden."
Nando gehört zu den Dorfältesten Rimellas. Früher hat er als Holzfäller gearbeitet und kann viele Geschichten von vergangenen Zeiten in den Bergen erzählen. Am Leben in der Gemeinde nimmt er noch immer aktiv teil, zeigt sich über manche Entwicklungen der letzten Jahre allerdings nicht sehr zufrieden.
Anna
"Hier gibt es keine klassische Rollenverteilung. Wir sind emanzipierter als die Männer!"
Mit sieben Monaten nahm ihre Mutter sie zum ersten Mal mit in die hohen Berge. Anna gehört einer langen Generation starker Frauen an und zieht auf den Berghängen Rimellas drei Kinder groß. Ihre Familie lebt von Milch- und Käseproduktion.
Nadir
"Eines Morgens wachte ich in der Stadt auf und sagte: Das reicht mir nicht, ich muss hier weg. Und dann kam ich nach Rimella."
Das Leben in der Stadt kennt er gut, doch mit Mitte 30 entschied sich Nadir für ein Leben bestimmt von Ziegen, Kühen und Hunden in Rimella. Er hilft anderen im Dorf gerne, begegnet einem immer lächelnd und verkauft seinen Ziegenkäse an Wandernde.
Paula
"Unser heutiges Leben basiert immer auf Dingen der Vergangenheit. Deshalb dürfen wir sie nicht vergessen, denn dann verlieren wir auch einen Teil unserer Identität".
Seit 15 Jahren arbeitet Paula für die Gemeinde Rimellas und ist zuständig für das Walser-Dokumentations- und Forschungszentrum, das ethnographische Museum und das ethnolinguistische Archiv. Sie gibt Tourist:innen, Schulklassen und Forschenden Führungen und möchte junge Menschen für die Geschichte und Tradition Rimellas begeistern.
Dennis
"Draußen zu sein mit den Tieren und zu sehen, dass sie fressen und es ihnen gut geht - das ist eine große Befriedigung."
Der junge Hirte Dennis hat die größte Schaf- und Ziegenherde in Rimella und wohnt im ehemaligen Schulhaus am idyllischen Bachlauf. Einige im Dorf seien sogar eifersüchtig auf ihn und seinen Erfolg, erzählt er. Obwohl er alte und traditionelle Dinge lieber mag, schaut er sich hin und wieder Tipps für die Tierhaltung auf seinem Smartphone an.
Franca
"Es ist schön, sich mit den Gästen zu unterhalten, etwas über ihr Leben zu erfahren und sie lernen etwas über das Unsere kennen."
Gemeinsam mit ihren zwei Schwestern bewirtschaftet Franca die Albergo Fontana in Rimella. Wandernde können hier in gemütlichen Zimmern übernachten und die Rimmeleser kommen mittags oder abends zum Essen in den großen Speisesaal mit Blick auf die Berge.
Eva Kimminich
"Mich beeindrucken in Rimella nicht nur die Natur und das Naturbelassene, sondern die außergewöhnliche Freundlichkeit der Menschen."
Seit über zehn Jahren kehrt die passionierte Bergwanderin und Professorin für romanische Kulturen und Kultursemiotik immer wieder nach Rimella zurück. Mit Studierenden unternimmt sie Exkursionen, damit diese erleben, wie hier auf besondere Weise Natur und Kultur erlebt und auch erforscht werden können.
Eine Produktion des Zentrums für Kultursemiotik an der Universität Potsdam. Entstanden im Rahmen einer Exkursion im Juni 2021.