Über zwei Jahre hat Corona die ganze Öffentlichkeit bewegt. Leider sind Risse entstanden – bis mitten in Familien und Kirchen hinein. Gerade der Konflikt in der Ukraine zeigt, wie wichtig versöhnte Beziehungen sind.
Peter Schneeberger, Vorsitzender FEG Schweiz, peter.schneeberger@feg.ch
«Als ich aus der Zelle durch die Tür in Richtung Freiheit ging, wusste ich, dass ich meine Verbitterung und meinen Hass zurücklassen musste. Oder ich würde mein Leben lang gefangen bleiben.» Das sagte Nelson Mandela, nachdem er 27 Jahre unrechtmässig in Gefängnissen sass und dann erster schwarzer Präsident Südafrikas wurde. Wer möchte nicht ein Leben in Frieden und ohne Streit mit anderen Menschen führen? Das ist nicht selbstverständlich:
Die zweijährige Pandemie hat Wunden innerhalb der Christenheit hinterlassen. Und der Ukraine-Konflikt lässt sie nicht zur Ruhe kommen.
«Erleuchtung» für Versöhnung
Das Wort Versöhnung kann auch unangenehme Gefühle auslösen. Es kann der Hinweis auf eine Pendenz im Leben sein: Es gibt Menschen auf dieser Welt, mit denen ich nicht versöhnt bin. Die Botschaft der Versöhnung ist daher nicht überall populär. Sie rüttelt das Gewissen wach – und das ist unbequem. Der US-Pastor Frank Buchmann war einer der einflussreichsten freikirchlichen Christen des 20. Jahrhunderts. Buchmann suchte und erhielt Kontakt zu Verantwortlichen und Regierenden auf nahezu allen Kontinenten der Erde. Er hat 1947 auf der Friedenskonferenz in Caux (VD) nach dem 2. Weltkrieg gesagt: «Wir wollen Frieden. Wir wollen ein geeintes Europa. Aber wir gehen den Dingen nicht an die Wurzel. Man kann nicht fortwährend ‹Krise› schreien, ohne für eine angemessene Antwort zu sorgen.» Und was ist die Antwort? Buchmann würde uns heute nach zwei Jahren Corona-Massnahmen zur Versöhnung einladen:
«Versöhnung wird immer von denen falsch ausgelegt, die sich ihr entziehen wollen. Aber sie kommt wie eine Erleuchtung auf diejenigen, die bereit sind.»
Wie hat Frank Buchmann diese «Erleuchtung» erlebt? «Ich war im Zwiespalt mit mir. Der Materialismus war dabei, den Kampf in meinem Herzen zu gewinnen. Ich fuhr nach Europa, um ihm zu entrinnen. Aber der Kampf in mir kam mit. In England zeigt mir Gott eines Tages die kostspieligen Folgen meines Stolzes und Materialismus. Ich gab es zu. Ich wurde ehrlich mit mir selbst. Ich sagte: Es tut mir leid. Erst sagte ich es zu Gott, dann zu denjenigen, welchen ich Unrecht getan hatte.» Als Buchmann 1961 starb, berichtete das Bulletin der Bundesregierung Deutschlands: «Durch Caux hat er Deutschland in den Kreis der zivilisierten Nationen zurückgeführt.»
Vergebung hat die Kraft, Beziehungen zu heilen
Gott ruft die Menschen überall auf, Werkzeuge der Einigung zu sein. Sie wird nicht durch Konferenzen erreicht, nicht durch Gesetze, nicht durch Resolutionen und fromme Hoffnungen, sondern durch Änderung. Konflikte sind ein unausweichlicher Teil des Lebens. Menschen kränken einander und verletzen die Gefühle des Nächsten. Alle haben das schon erlebt. Selten geschieht die Kränkung absichtlich; dennoch sitzt der Schmerz meist tief. Man fühlt sich getroffen, herabgesetzt, in Frage gestellt oder einfach enttäuscht.
Gott schuf die Vergebung. Sie hat als einzige die Kraft, Beziehungen zu heilen. Ohne das Wunder der Vergebung können wir nicht in Gemeinschaft leben. Gott hat uns zuerst vergeben. Gott verzichtet nicht nur auf Anklage, sondern er hat sogar das Lösegeld bezahlt. So wie Paulus es den Kolossern schreibt: «Ertragt einander! Seid nicht nachtragend, wenn euch jemand Unrecht getan hat, sondern vergebt einander, so wie der Herr euch vergeben hat.» In der Zeit nach den Corona-Massnahmen ist der Moment für Busse, Vergebung und Heilung gekommen – in den Familien, in der Kirche, in der Gesellschaft.
Bist du bereit für Versöhnung? Wie Buchmann schreibt: Bist du ehrlich mit dir selbst und sagst aufrichtig: «Es tut mir leid?» Möge Jesus uns den Mut dazu geben und beistehen, dass Versöhnung in unseren Kirchen und Beziehungen Wirklichkeit wird.
Interview zum Weiterlesen
von Markus Baumgartner, Gründer und CEO der Kommunikationsagentur b-public, mba@b-public.ch
«Was wäre, wenn Versöhnung um sich greifen würde?»
Peter Schneeberger besucht als Präsident der Freien Evangelischen Gemeinden und des Dachverbands Freikirchen.ch jedes Jahr viele Kirchgemeinden persönlich. Im Interview erklärt er, wie Christen jetzt glänzen können.
Wie bist du nach dem Ende der Corona-Massnahmen ausgerechnet auf Frank Buchmann gestossen?
Ich kenne Frank Buchmann von meinem Studium her sehr gut. Ich habe alle seine Reden verschlungen und war ein «Anhänger» seiner Lehren. Am 25. Februar 2022, einen Tag nach dem verheerenden Kriegsausbruch in der Ukraine, bin ich an den Genfersee gereist. Der Ausbruch des Krieges hat mich verstört. Ich brauchte Ruhe und darum habe ich eine Sehenswürdigkeit mit weltpolitischer Ausstrahlung besucht: das Grand Hotel im kleinen Dorf Caux. Die besten Zeiten hat das Hotel längst hinter sich. 1947 bekam dort der erste Bundeskanzler von Deutschland, Konrad Adenauer, entscheidende Impulse für die Versöhnung mit Frankreich. Er nahm an der vom freikirchlichen Pastor Frank Buchmann geleiteten christlichen Konferenz teil.
Was ist dann geschehen?
Als ich oberhalb des Genfersees auf einer Parkbank sass, rechts von mir die «Brutstätte des Friedens», das Grand Hotel und vor mir der wunderschöne Blick auf den Genfersee und die Alpen, da fing ich an zu träumen. Ich habe angefangen mit Gott zu reden. Ich habe ihm meinen Zorn über die Invasion Russlands mitgeteilt. Ich habe ihm das Leid der Zivilbevölkerung, sowohl in der Ukraine wie auch in Russland geklagt. Und dann habe ich ihn gebeten, dass er Menschen beruft, die zur Versöhnung aufrufen und auch leben können. Was wäre, wenn die Versöhnung plötzlich um sich greifen würde?
Wieso sind Menschen unversöhnlich?
Unversöhnlichkeit heisst: mit offenen Rechnungen leben. Mit dem habe ich noch eine Rechnung offen. Die beste Nachricht aller Zeiten ist: Die offenen Rechnungen sind alle bezahlt! (...)